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Gasausbruch am 29. Juli
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Ein Feuerwerk auf dem Kometen kurz vor dem Perihel

12/08/2015 1285 views 16 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Das Perihel rückt näher und Rosetta hat in den vergangenen Wochen auf dem Kometen 67P/Churyumov–Gerasimenko verstärkte Aktivitäten beobachtet. Besonders bemerkenswert war ein heftiger Gasausbruch, der so stark war, dass er sogar den auftreffenden Sonnenwind verdrängte.

Am Donnerstag erreicht der Himmelskörper das Perihel, den Punkt seines sechseinhalb Jahre dauernden Orbits um die Sonne, an dem er dieser am nächsten kommt. In den letzten Monaten hat die steigende Energie der Sonnenstrahlung das Eis des Kometen erwärmt. Nun dringt es gasförmig ins All und reißt dabei Staubpartikel mit.

Die Zeit um das Perihel ist von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung, da die Intensität der Sonneneinstrahlung weiter ansteigt und Teile des Kometen, die jahrelang buchstäblich in der Dunkelheit eingeschlossen waren, nun mit Sonnenlicht überflutet werden.

Obwohl die allgemeinen Aktivitäten auf dem Kometen in den Wochen nach dem Perihel ihren Höhepunkt erreichen (die heißesten Sommertage treten meist nach den längsten Tagen auf), kann es jederzeit zu unvorhergesehenen Ausbrüchen kommen – wie wir bereits früher während der Mission beobachten konnten.

Bislang heftigster Gasausbruch am 29. Juli beobachtet

Entdeckung einer diamagnetischen Kavität
Entdeckung einer diamagnetischen Kavität

Am 29. Juli konnte Rosetta den bislang heftigsten Gasausbruch beobachten. Zahlreiche Bordinstrumente zeichneten ihn von Rosettas Beobachtungspunkt aus einer Entfernung von 186 Kilometern auf.

Es wurden Bilder vom Ausbruch aus dem Kern aufgenommen, eine Veränderung in der Struktur des Kometen und in der Zusammensetzung der gasförmigen Koma um Rosetta erkannt. Zudem trafen auch vermehrt Staubpartikel auf die Raumsonde.

Die erstaunlichste Erkenntnis war jedoch, dass durch den Ausbruch das Magnetfeld des Sonnenwindes um den Kometenkern abgelenkt wurde.

Eine Bildersequenz der OSIRIS-Forschungskamera an Bord von Rosetta zeigt das sich klar abzeichnende Einsetzen eines strahlenförmigen Gebildes, das in der Anuket-Region seitlich aus dem Kometen austritt. Es war zuerst auf einem Bild zu sehen, das um 13:24 GMT aufgenommen wurde, nicht jedoch auf einem Bild, das 18 Minuten davor geschossen worden war. In dem Bild 18 Minuten danach wiederum ist das Gebilde schon fast wieder verschwunden. Das Kamerateam schätzt, dass das gasförmige Material im Strahl mit einer Geschwindigkeit von mindestens 10 m/s, wenn nicht sogar viel schneller, herausgeschleudert wurde.

“Bislang ist dies der hellste Strahl, den wir beobachten konnten”, kommentiert Carsten Güttler vom OSIRIS-Team des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen.

“Normalerweise erscheinen die Strahlen relativ blass, sodass sie sich optisch nur schlecht vom Kern abheben, und wir müssen den Kontrast der Bilder schwächen, um sie sichtbar zu machen – aber dieser ist viel heller als der Kern.”

ROSINA ermittelt Veränderungen in der Gaszusammensetzung

Änderungen der Gaszusammensetzung während des Ausbruchs am 29. Juli
Änderungen der Gaszusammensetzung während des Ausbruchs am 29. Juli

Kurz darauf ermittelte der Kometendrucksensor ROSINA eindeutige Anzeichen für Veränderungen in der Struktur der Koma. Auch das Massenspektrometer zeichnete Veränderungen in der Zusammensetzung der ausgestoßenen Gase auf.

Im Vergleich zu den Messungen zwei Tage zuvor war beispielsweise der Kohlendioxidanteil um das Doppelte, der Methananteil um das Vierfache und der Schwefelwasserstoffanteil um das Siebenfache angestiegen. Der Wasseranteil blieb stattdessen nahezu konstant.

“Dieser erste ‘kurze Blick’ auf unsere Messergebnisse des Ausbruchs ist faszinierend”, erzählt Kathrin Altwegg, wissenschaftliche Leiterin von ROSINA an der Universität Bern. “Nach dem Ausbruch fanden wir auch Hinweise auf schwere organische Materialien, die möglicherweise auf die ausgestoßenen Staubpartikel zurückzuführen sind.

“Aber auch wenn der Gedanke verlockend erscheint, dass wir auf Material gestoßen sein könnten, das aus dem Kometeninneren stammt, ist es zu früh, dies definitiv zu bestätigen.”

Zwischenzeitlich, etwa 14 Stunden nach dem Ausbruch, hat die GIADA-Messeinheit eine Steigerung der Partikeltrefferrate von 1–3 pro Tag im Juli auf 30 pro Tag ermittelt. In einem Zeitraum von 4 Stunden am 1. August wurde sogar ein Spitzenwert von 70 Treffern gemessen. Dies deutet darauf hin, dass der Gasausbruch auch an den folgenden Tagen einen immensen Einfluss auf die Staubatmosphäre des Kometen hatte.

“Die GIADA-Messeinheit zeichnete nicht nur die Partikelanzahl auf, sondern auch deren Geschwindigkeit. Die Ergebnisse zeigten uns, dass da noch etwas ‘anderes’ passierte: Die durchschnittliche Partikelgeschwindigkeit nahm von 8 m/s auf etwa 20 m/s zu, Spitzenwerte lagen sogar bei 30 m/s – eine staubige Angelegenheit!”, erklärt Alessandra Rotundi, Forschungsleiterin an der ‘Parthenope’ Universität in Neapel.

Region des Ausbruchs am 29. Juli
Region des Ausbruchs am 29. Juli

Das vermutlich bemerkenswerteste Ergebnis ist jedoch, dass der Gasausbruch so heftig war, dass er den Sonnenwind einige Minuten lang vom Kern ablenkte – eine einzigartige Beobachtung des Magnetometers im Rosetta Plasma Konsortium.

Der Sonnenwind ist der kontinuierliche Strom elektrisch geladener Teilchen, der von der Sonne ausgeht und das Magnetfeld der Sonne in den Raum erweitert. Frühere Messungen von Rosetta und Philae hatten bereits gezeigt, dass der Komet nicht magnetisch ist. Der Sonnenwind konnte demnach die einzige Quelle eines Magnetfelds sein.

Aber er strömt nicht ungehindert vorbei. Da der Komet Gas ausstößt, wird der auftreffende Sonnenwind bis zum Stillstand gebremst und es findet ein Druckausgleich statt.

“Das Magnetfeld des Sonnenwindes staut sich, wie bei einem Fahrzeugstau. Schließlich kommt die Bewegung auf den Kometenkern zum Erliegen. Auf der Sonnenseite des Kometen entsteht ein magnetfeldfreier Bereich, eine so genannte ‘diamagnetische Kavität’”, erklärt Charlotte Götz, Mitglied des Magnetometer-Teams am Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik in Braunschweig.

Diamagnetische Kavitäten liefern grundlegende Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen einem Kometen und dem Sonnenwind. Die bisher einzigen Informationen hierüber wurden aus einer Entfernung von etwa 4000 Kilometer vom Halleyschen Kometen aufgezeichnet, als die ESA-Raumsonde Giotto 1986 an ihm vorbei flog. 

Rosettas Komet ist wesentlich weniger aktiv als der Halleysche. Daher gingen die Wissenschaftler eigentlich von einer wesentlich kleineren Kavität mit einer Größe von einigen zehn Kilometern aus. Das Phänomen war bis zum 29. Juli auch noch nicht zu beobachten.

Nach dem Ausbruch jedoch ermittelte das Magnetometer eine diamagnetische Kavität mit einer maximalen Ausdehnung von 186 Kilometer um den Kern. Sie wurde vermutlich durch den Gasausbruch erzeugt, durch den der Fluss neutralen Gases in der Kometenkoma verstärkt worden war. Der Sonnenwind wurde hierdurch in einer größeren Entfernung vom Kometen ‘gestoppt’. Die Grenze der Kavität dehnte sich sogar bis jenseits der damaligen Position von Rosetta aus.

"Es ist extrem schwer, im Sonnensystem überhaupt einen magnetfeldfreien Bereich zu finden. Aber hier ist nun einer und wir bekommen ihn auf einem Silbertablett serviert – das ist ein sehr fesselndes Ergebnis für uns", fügt Charlotte Götz hinzu.

“Wir haben Rosetta in den vergangenen Wochen bis auf eine Distanz von 300 Kilometer hinaus manövriert, um Probleme mit dem Navigationssystem durch den Staub zu vermeiden. Wir hatten auch in Erwägung gezogen, dass die diamagnetische Kavität dann außerhalb unserer Reichweite sein würde. Aber es scheint, als hätte der Komet uns geholfen und die Kavität näher an Rosetta gebracht”, meint Matt Taylor, Projektwissenschaftler der Rosetta-Mission.

“Das ist ein fantastisches Ereignis für alle Messinstrumente, und wir werden einige Zeit für die Analyse benötigen. Aber es ist der Höhepunkt der aufregenden Zeiten, die wir im Perihel des Kometen erleben dürfen.”

Google Hangout zum Perihelion

Ein Google+ Hangout zum einjährigen Jubiläum und Perihel ist für den 13. August 2015 um 13:00–15:00 GMT (15:00–17:00 CEST) angesetzt. Hier finden Sie weitere Informationen. (Stellen Sie Ihre Fragen im Voraus, auf der G+ Eventseite oder über Twitter mit dem Hashtag #AskRosetta).

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