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Charlotte Harbor
Science & Exploration

Erdbeobachtung von der ISS aus – mehr als nur Handkamerabilder

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ESA / Science & Exploration / Human and Robotic Exploration / International Space Station Benefits for Humanity

Seit die Internationale Raumstation im November 2000 in Betrieb genommen wurde, haben die Astronauten an Bord im Rahmen des Programms Crew Earth Observations über 600.000 Bilder der Landmassen und Ozeane der Erde und atmosphärischer Phänomene aufgenommen, ja sogar Bilder des Mondes von der Erdumlaufbahn aus. Für diese Foto- und Filmaufnahmen verwenden sie digitale Handkameras. Trotz dieser Bilderflut und trotz ihrer offenkundigen Eignung zur Fernerkundung der Erde wird die ISS von vielen Fernerkundungsexperten nicht als Erdbeobachtungsplattform wahrgenommen. Doch dank der Installation neuer Geräte und hochmoderner Sensorsysteme an der ISS im Lauf der letzten beiden Jahre – und weiterer, in Planung begriffener Installationen – ändert sich das.

Was aber vermag die Internationale Raumstation bei der Fernerkundung der Erde zu leisten, was frei fliegende, mit Robotern bestückte Satellitensysteme nicht zu bieten haben?

Bilder bei unterschiedlichsten Lichtverhältnissen

Im Gegensatz zu zahlreichen herkömmlichen Erdbeobachtungsplattformen umkreist die ISS die Erde in einer geneigten, äquatorialen, nicht sonnensynchronen Umlaufbahn. Das heißt, die ISS passiert die Erde in einem Winkel zwischen 52 Grad nördlicher und 52 Grad südlicher Breite, und zwar zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten und bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Satelliten mit Fernerkundungssensoren zur Erdbeobachtung wie Landsat7 oder Terra dagegen befinden sich in der Regel auf einer polaren, sonnensynchronen Umlaufbahn. Sie passieren die gleiche Stelle auf der Erdoberfläche in Abständen von etwa zwei Wochen immer zu etwa der gleichen Tageszeit. Aufnahmen unter vergleichbaren Lichtverhältnissen sind zwar bestens geeignet, um gleich bleibende Daten einer bestimmten Region zu generieren, aber die Zeit für die Erfassung dieser Daten ist beschränkt (in den meisten Fällen auf die Zeit um den örtlichen Sonnenhöchststand). Sollen jedoch Oberflächenprozesse untersucht werden, die normalerweise früh am Morgen oder spät am Nachmittag auftreten, beispielsweise Gesetzmäßigkeiten in der Bildung küstennaher Nebelbänke, so lassen sich die benötigten Daten mit Satelliten auf polaren, sonnensynchronen Umlaufbahnen nur schwer gewinnen.

Flexible Datenerfassung

Monterey Bay
Monterey Bay

Ein weiterer besonderer Vorteil der ISS ist die Besatzung, denn diese kann unverzüglich auf neue Situationen reagieren und braucht kein neues Datenerfassungsprogramm, das erst noch von der Bodenstation hochgeladen werden muss. Das fällt insbesondere bei plötzlichen und unerwarteten Naturereignissen ins Gewicht, wie zum Beispiel Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Tsunamis. Darüber hinaus kann die Besatzung erkennen, ob die Sichtbedingungen – beispielsweise die Wolkendecke oder die Lichtverhältnisse – für brauchbare Aufnahmen überhaupt geeignet sind, während ein Robotersensor automatisch Bilddaten generiert, ganz ohne Rücksicht auf deren Qualität.

Neben den digitalen Handkameras der Astronauten erschließen auch die schon bestehenden, automatischen, internen und externen Sensor- und anderen Systeme an Bord der ISS interessante neue Möglichkeiten für die Fernerkundung der Erde. Darüber hinaus beflügeln die Leistungsstärke und Dateninfrastruktur der ISS die Entwicklung neuer Sensoren. Folgende Erdbeobachtungssysteme unter Leitung der NASA sind auf der ISS bereits heute in Betrieb oder werden in nächster Zeit in Betrieb gehen (bzw. sind zum Transport auf die ISS vorgesehen):

• WORF (Window Observational Research Facility) besteht aus einer hochstabilen, internen Plattform, die zur Stabilisierung von Kameras und Sensoren dient und mit Stromanschlüssen, Befehls- und Datenverbindungen sowie einer Kühlung ausgestattet ist. Dank WORF können die hervorragenden optischen Eigenschaften des Nadir-Beobachtungsfensters im US-Labormodul Destiny, das senkrecht nach unten auf die Erde gerichtet ist, nun zum ersten Mal in vollem Umfang genutzt werden.

• ISSAC (International Space Station Agricultural Camera) wurde von einer Fakultät der Universität von Norddakota, USA, und ihren Studenten entwickelt. Hauptzweck ist die Erfassung multispektraler Bilddaten für die Landwirtschaft und für damit zusammenhängende Forschungsprojekte im oberen Mittleren Westen der USA. Außerdem können mit ISSAC auch Aufnahmen von Naturereignissen bzw. Naturkatastrophen angefertigt und von der NASA für humanitäre Zwecke verwendet werden. ISSAC erfasst Bildinformationen im sichtbaren und im Nahinfrarotspektrum (3 Bänder) und erreicht eine nominelle Bodenauflösung von 20 m pro Pixel.

• HICO (Hyperspectral Imager for the Coastal Ocean) ist an der Außenplattform des japanischen Labormoduls Kibo installiert. Hauptzweck von HICO ist die Erfassung von Bilddaten zu Wasserklarheit, Bodenbeschaffenheit, Wassertiefe und Küstenvegetation an den Rändern der Ozeane, und zwar mit einer Bodenauflösung von etwa 90 m pro Pixel. Mit dem Sensor können hochwertige Bilddaten in 87 Bändern des sichtbaren und des Nahinfrarotspektrums erfasst werden.

• ISERV (International Space Station SERVIR Environmental Research and Visualization System) ist ein Sensorsystem und befindet sich noch in Planung. Es besteht aus einem Schmidt-Cassegrain-Teleskop in Verbindung mit einem digitalen Kamerasystem und nimmt Bilder im sichtbaren Spektrum mit einer Bodenauflösung von unter 3 m pro Pixel auf. Das hochstabile und äußerst zielgenaue System soll auf der WORF-Plattform installiert werden. Der Sensor soll mit seinen geografischen Daten das humanitäre SERVIR-Programm unterstützen, das Hilfseinsätze in Entwicklungsländern, Katastrophenhilfsprojekte und humanitäre Unterstützung umfasst.

Zurzeit verwalten einzelne Wissenschaftlerteams den Zugriff auf die von den verschiedenen Sensorsystemen erfassten Daten, aber für die Zukunft ist ein zentrales Datenzugriffssystem geplant. Außerdem verspricht man sich von der besonderen Situation auf der ISS – autonome Sensorsysteme und eine menschliche Besatzung – erhebliche Verbesserungen bei der Erdbeobachtung und bei der Reaktion auf Naturkatastrophen und andere Ereignisse. So ergänzen die Erdbeobachtungssysteme der ISS die internationalen Satellitensysteme zur Erdbeobachtung in idealer Weise. Alle Systeme zusammen werden uns wertvolle neue Erkenntnisse über unseren Heimatplaneten verschaffen.

William L. Stefanov ist Mitarbeiter von Jacobs, Hauptvertragspartner des NASA Johnson Space Center Engineering and Science Contract.

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