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VZV-infizierte MeWo-Zellen: Zu erkennen sind die typischen, vom Herpesvirus induzierten, mehrkernigen Riesenzellen. Die Kulturen wurden zum Nachweis von RNA (rot) im Zytoplasma mit Acridinorange eingefärbt.
Science & Exploration

Früherkennung von Veränderungen des Immunsystems bewahrt Astronauten und Patienten auf der Erde vor schmerzhafter Gürtelrose4

01/03/2012 2798 views 3 likes
ESA / Science & Exploration / Human and Robotic Exploration / International Space Station Benefits for Humanity

Die physiologischen, emotionalen und psychologischen Belastungen eines Raumflugs können das Immunsystem schwächen und ein Virus reaktivieren, das Gürtelrose verursacht, eine Krankheit, die mit schmerzhaften Hautausschlägen einhergeht. Die NASA hat ein Verfahren zur Früherkennung von Veränderungen des Immunsystems entwickelt, so dass mit einer Behandlung begonnen werden kann, bevor sich die schmerzhaften Hautveränderungen zeigen. Das Verfahren eignet sich für Astronauten genauso wie für Menschen auf der Erde. Durch die Früherkennung und die zeitig einsetzende Behandlung verkürzt sich die Dauer der Erkrankung und es kommt seltener zu Langzeitfolgen.

Bei Aufenthalten im Weltraum verändern sich einige Aspekte des menschlichen Immunsystems: Die unspezifische Abwehr, also der erste Schutzschild des Körpers gegen Krankheitserreger, sowie bestimmte Bestandteile der zellulären Abwehr sind bei Astronauten vermindert. Zwar treten Infektionserkrankungen bei kurzen Weltraumaufenthalten weder in höherer Zahl noch mit besonders schweren Verläufen auf. Doch können die Wissenschaftler der NASA Beeinträchtigungen des Immunsystems bei Langzeitmissionen im Weltraum nicht ausschließen.

Bei Gesunden ist es schwierig, geeignete Biomarker oder Indikatoren für den Zustand des Immunsystems zu finden. Untersuchungen an Astronauten haben aber gezeigt, dass Herpesviren für die Früherkennung von Veränderungen des Immunsystems besonders geeignet sind. Acht Arten von Herpesviren können den menschlichen Körper besiedeln, und praktisch jeder Mensch trägt einen oder mehrere dieser Virentypen in sich. Herpesviren verursachen verschiedene Krankheiten, das Herpes-simplex-Virus (HSV) zum Beispiel die bekannten „Fieberbläschen“, das Epstein-Barr-Virus (EBV) infektiöse Mononukleose und das Varicella-zoster-Virus (VZV) Windpocken und Gürtelrose. Bei immunsupprimierten Patienten können Herpesviren mehrere Krebsarten auslösen, beispielsweise Karzinome, lymphoproliferative Erkrankungen und andere.

Laut CDC (Centers for Disease Control and Prevention, USA) erkranken jährlich eine Million Menschen in den USA an Gürtelrose, und bei 100.000 bis 200.000 dieser Patienten entwickelt sich eine postherpetische oder Post-Zoster-Neuralgie (PHN oder PZN), eine extrem schmerzhafte und in manchen Fällen zu schweren Einschränkungen führende Krankheit, die Monate oder Jahre andauern kann. Auch die anderen sieben Herpesviren können sich wie das Varicella-zoster-Virus in verschiedenen Körpergeweben einnisten und lange inaktiv bleiben, werden aber bei einer Schwächung des Immunsystems wieder aktiv und lösen Krankheiten aus.

Der häufigste Grund für ein nachlassendes Immunsystem ist das Alter, aber auch chronischer Stress beeinträchtigt das Immunsystem und erhöht das Risiko von Sekundärerkrankungen wie der vom Varicella-zoster-Virus verursachten Gürtelrose. Weitere Gründe für eine geschwächte Immunabwehr sind Chemotherapien, Organtransplantationen und Infektionen wie HIV (humanes Immundefizienz-Virus). Die Reaktivierung ruhender Viren gilt mittlerweile als wichtiger Indikator für klinisch relevante Veränderungen des Immunsystems. Studien an immunschwachen Patienten zeigen, dass diese das Epstein-Barr-Virus in ihrem Speichel in 90-mal höherer Konzentration ausscheiden als Gesunde.

Astronauten tragen wie mindestens 95 Prozent aller Erwachsenen weltweit Herpesviren in sich. Lassen sich Herpesviren also in den Körperflüssigkeiten von Astronauten nachweisen, so ist dies ein wertvoller Biomarker für den Zustand ihres Immunsystems. Man geht davon aus, dass die beobachtete Schwächung des Immunsystems auf die verschiedenen Stressfaktoren zurückzuführen ist, die bei einem Weltraumaufenthalt auf die Astronauten einwirken. Forscher am Johnson Space Center der NASA haben herausgefunden, dass bei einem Weltraumaufenthalt vier Typen menschlicher Herpesviren reaktiviert werden und in den Körperflüssigkeiten in Erscheinung treten. Dass die Viren aus ihrem latenten Zustand erwachen und sich zu aktiven Infektionserregern entwickeln können, liegt an der reduzierten zellulären Abwehr. Die Viren vermehren sich und werden im Speichel, Urin oder Blut ausgeschieden. Durch eine Polymerasekettenreaktion (PCR) in virusspezifischen PCR-Assays kann man die gesuchten Viren nachweisen, quantifizieren und die virale DNA identifizieren. PCR-Assays sind hochempfindlich, hochspezifisch und ermöglichen die selektive Replikation viraler DNA-Sequenzen. Im Speichel von Astronauten gelang zum ersten Mal der Nachweis reaktivierter Varicella-zoster-Viren bei asymptomatischen Personen. Das von den Astronauten im Speichel ausgeschiedene Virus erwies sich als intakt und infektiös. Das heißt, es bildet eine Gefahr für nicht infizierte Personen.

Die PCR-Technologie wurde auch zur Untersuchung einer durch Varicella-zoster-Viren verursachten Gürtelrose bei Patienten aus der Normalbevölkerung eingesetzt. In der Studie, an der Ärzte des University of Texas Health Science Center in Houston und NASA-Wissenschaftler des Johnson Space Center teilnahmen, ließ sich das Virus am Tag des Behandlungsbeginns im Speichel aller 54 Gürtelrosepatienten nachweisen. Durch eine antivirale Therapie gingen Schmerzen und Hautausschläge zurück, ebenso wie die Zahl der Viren. Die Studie ergab aber auch, dass sich die Virenlast der weniger stark belasteten Gürtelrosepatienten vor Behandlungsbeginn mit der Virenlast der stärker belasteten unter den gesunden Astronauten überschnitt. Das heißt, dass bei einer Weltraummission durchaus die Gefahr eines Gürtelroseausbruchs infolge reaktivierter Varicella-zoster-Viren besteht.

Mithilfe des neuen Früherkennungsverfahrens konnte bei einem 21 Jahre alten Patienten rasch eine Gürtelrose diagnostiziert und eine Behandlung eingeleitet werden. Dank der schnellen Intervention traten bei dem Patienten keine Hautausschläge auf, und auch die Dauer der schmerzhaften akuten Krankheitsphase ließ sich verkürzen. In einer anderen NASA-Studie wurden mithilfe der PCR in allen 25 untersuchten Gürtelrosepatienten Varicella-zoster-Viren im Serum und in peripheren mononuklearen Blutzellen (PBMC) entdeckt. Damit konnte zum ersten Mal nachgewiesen werden, dass sich Gürtelrose üblicherweise in Form einer Virämie (Viren im Blut) manifestiert. Für PCR-Assays ist jedoch eine umfangreiche, komplexe und daher für Weltraumflüge ungeeignete Ausstattung erforderlich.

Um dieses Problem zu lösen und Astronauten im Weltraum auf reaktivierte Viren untersuchen zu können, entwickelte die NASA ein Schnellverfahren zum Nachweis von Varicella-zoster-Viren in Körperflüssigkeiten, für das bereits ein Patentantrag gestellt ist. Für das neue Verfahren ist lediglich eine kleine Speichelprobe erforderlich, die mit speziellen Reagenzien gemischt wird. Sind Varicella-zoster-Viren vorhanden, färbt sich die Probe rot. Das Verfahren ermöglicht eine Früherkennung vor dem Auftreten der ersten Hautveränderungen. Die antivirale Therapie kann also sehr schnell begonnen werden, was die Nervenschäden reduziert und dem offenen Ausbruch der Krankheit vorbeugt. Auch eine postherpetische Neuralgie dürfte sich – so die Erwartungen – dadurch verhindern lassen. Die für das neue Verfahren notwendige Ausstattung eignet sich ebenso für Weltraummissionen wie für Arztpraxen auf der Erde. Außerdem lässt sich das Verfahren problemlos modifizieren und zum Nachweis anderer Viren in Speichel, Urin, Blut und Rückenmarksflüssigkeit nutzen. Seine Empfindlichkeit und Spezifität beruhen auf einer Antikörper-Antigen-Reaktion.

In einer weiteren gemeinsamen Studie entwickelten Forscher der NASA und des Health Science Center der Universität von Colorado in Denver ein Probennahmeverfahren zum Nachweis von Stresshormonen im Speichel, das bei Space-Shuttle-Missionen zum Einsatz kommen kann. Dazu werden Speichelproben genommen und auf einzelnen Streifen Filterpapier getrocknet. Die getrockneten Proben bleiben bei Zimmertemperatur bis zu sechs Monate lang stabil und können nach der Rückkehr zur Erde untersucht werden. Bei dem Test wird der Gehalt an Cortisol und Dehydroepiandrosteron (DHEA) gemessen, zwei wichtigen Hormonen für die Stress- und die Immunregulation. Das Filterpapier eignet sich auch für Proteine und andere zu untersuchende Moleküle im Speichel. Zurzeit wird das Filterpapier in Heftform bereits an Universitäten und staatlichen Labors zum Sammeln von Speichelproben eingesetzt.

Die Studien belegen den Nutzen dieses Verfahrens für die öffentliche Gesundheit zur Prävention einer schmerzhaften und möglicherweise folgenreichen Erkrankung, die allein in den USA bis zu eine Million Menschen pro Jahr trifft.

Satish K. Mehta, Ph.D., Senior Scientist, Enterprise Advisory Services
Duane L. Pierson, Ph.D., Chief Microbiologist
C. Mark Ott, Ph.D., Senior Microbiologist
NASA Johnson Space Center

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