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Mikroverkapselung einzelner Zellen
Science & Exploration

Gezielter Wirkstofftransport in der Krebstherapie

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ESA / Science & Exploration / Human and Robotic Exploration / International Space Station Benefits for Humanity

Die Medizin ist ständig auf der Suche nach besseren Krebstherapien, und die Internationale Raumstation hat sich dank Mikrogravitation als nützliche Plattform für Fortschritte in der Krebsforschung erwiesen.

In der Onkologie werden seit Kurzem verschiedene Mikroverkapselungstechniken für die Behandlung von Krebserkrankungen eingesetzt. Mikroverkapselung ist ein Verfahren, bei dem in einem einzigen Schritt winzige, mit Flüssigkeit gefüllte, biologisch abbaubare Mikrokügelchen erzeugt werden, die verschiedene Wirkstofflösungen enthalten. Mithilfe dieser Kügelchen lässt sich in der Medizin der Wirkstofftransport verbessern, woraus sich neue Behandlungsmöglichkeiten für solide Tumore und resistente Infektionen ergeben. In Mikrokapseln können tumorhemmende Medikamente und Marker zur Visualisierung gezielt direkt zum Tumor transportiert werden. Das hat im Vergleich zu systemischen Behandlungsformen wie Chemotherapien gleich mehrere Vorteile. Tests im Mausmodell haben gezeigt, dass Mikrokapseln beim Menschen in Prostatatumore injiziert werden können, dort das Tumorwachstum hemmen und dass sie, injiziert nach einer Kryotherapie (Vereisung), eine weitaus stärkere Zerstörung des Tumorgewebes bewirken als Kryochirurgie oder lokale Chemotherapie allein. Darüber hinaus enthalten die Mikrokapseln ein Kontrastmittel, mit dem ihre Verteilung im Gewebe mittels CT-, Röntgen- oder Ultraschallaufnahmen überprüft werden kann, um sicherzustellen, dass die Mikrokapseln ihre Wirkstoffe überall im Tumor freisetzen.

Dr. Morrison mit dem MEPS-Modul, kurz vor der Verpackung für die Mission ISS UF-2
Dr. Morrison mit dem MEPS-Modul, kurz vor der Verpackung für die Mission ISS UF-2

Im Jahr 2002 fand auf der ISS unter der Leitung von Dennis Morrison, Ph.D. (im Ruhestand), am Johnson Space Center der NASA das MEPS-II-Experiment (Microencapsulation Electrostatic Processing System-II) statt. Geforscht wurde an der innovativen Verkapselung von mehreren unterschiedlichen Krebsmedikamenten, magnetischen Trigger-Partikeln und genetisch veränderter DNA. Bei dem Experiment konnten die bekannten Techniken der Mikroverkapselung verbessert werden, denn unter Mikrogravitation verändern sich die Strömungsmechanik, das Grenzflächenverhalten und die biologischen Aufbereitungsverfahren im Vergleich zur Erzeugung von Mikrokapseln unter Schwerkrafteinfluss.

Mikrokapseln mit Krebswirkstoffen, hergestellt auf der ISS
Mikrokapseln mit Krebswirkstoffen, hergestellt auf der ISS

Im MEPS-II-System auf der ISS wurden zwei unvermischbare Flüssigkeiten so zusammengeführt, dass an den Grenzflächen der beiden Flüssigkeiten die Oberflächenspannung anstelle der Scherkräfte dominierte. Die signifikante Überlegenheit der Mikrokapseln aus dem Weltraum als Transportsystem für Krebstherapeutika regte die Entwicklung des PFMS (Pulse Flow Microencapsulation System) an, mit dem auf der Erde Mikrokapseln in vergleichbarer Qualität wie im Weltraum erzeugt werden können.

Das Forschungsprojekt MEPS-II auf der ISS erbrachte neue Erkenntnisse über die optimalen Formulierungen und Bedingungen bei der Herstellung von Mikrokapseln mit mehreren Wirkstoffen, insbesondere speziellen Kapseln mit Trigger-Partikeln und Substanzen für die diagnostische Bildgebung. Diese Experimente zur Co-Verkapselung mehrerer Krebsmedikamente und photodynamischer Wirkstoffe legten die Grundlagen für neue technische Strategien bei der Herstellung von Mikrokapseln hier auf der Erde, die ihre Wirkstoffe gezielt im Krebsgewebe von Patienten freisetzen. Mittlerweile gibt es auch andere Mikrokapseln zur Behandlung tiefer Gewebeinfektionen und Blutgerinnungsstörungen sowie zur Freisetzung genetisch veränderter Substanzen für mögliche Gentherapien. Die Wirksamkeit von Mikrokapseln, die auf der ISS hergestellt wurden und das Wachstum von Prostatatumoren beim Menschen hemmen sollen, konnte unter Laborbedingungen erfolgreich nachgewiesen werden. Zwar hatten Morrison und sein Team bereits auf Space-Shuttle-Missionen zahlreiche vergleichbare Experimente durchgeführt, doch da auf der ISS auch Langzeitexperimente möglich sind, konnten bei den acht Mikroverkapselungsversuchen, die dort im Jahr 2002 abliefen, größere Fortschritte erzielt werden als bei den über 60 vorangegangenen Versuchen auf den vier Space-Shuttle-Missionen STS-77, STS-80, STS-95 und STS-107.

Vorteile der Forschung auf der ISS

Schematische Darstellung eines Mikroverkapselungssystems mit Impulspumpe
Schematische Darstellung eines Mikroverkapselungssystems mit Impulspumpe

Die Mikrogravitation auf der ISS ebnete den Weg zu besseren Verfahren der Mikrokapselentwicklung hier auf der Erde. Auf der Grundlage der Mikroverkapselungsversuche an Bord der ISS wurden neue, auf der Erde nutzbare Techniken zur Herstellung spezieller Mikrokügelchen entwickelt, die ihre Wirkstoffe über einen Zeitraum von 12 bis 14 Tagen nach und nach freisetzen. Die Forschungsarbeiten auf der ISS mündeten direkt in fünf US-amerikanische Patente, für die die NASA bereits Lizenzen vergeben hat. Zwei weitere Patente stehen an. NuVue Therapeutics, Inc., hat als eines von mehreren kommerziellen Unternehmen einige der MEPS-Technologien und -Methoden in Lizenz erworben und arbeitet an der Entwicklung neuer Anwendungen, beispielsweise innovativer Ultraschallnadeln und -katheter für den Transport der Mikrokapseln mit den Krebsmedikamenten direkt zum Tumor. Bei humanmedizinischen Forschungsprojekten in jüngerer Zeit kommt ein neuartiges Gerät für die Kryoablation (Vereisung) von Prostata- oder Lungentumoren zum Einsatz, gefolgt von der ultraschallgeführten Deposition mehrschichtiger Mikrokapseln mit verschiedenen chemotherapeutischen Wirkstoffen außerhalb der vereisten Zone. In einer 28-tägigen Studie zeigte sich bei der Kombinationstherapie eine Verlangsamung des Tumorwachstums um 78 Prozent und eine Tumorregression von bis zu 30 Prozent nach nur drei wöchentlichen Injektionen winzigster Mengen des mikroverkapselten Wirkstoffs, die das Tumorwachstum bei einer herkömmlichen Therapie um höchsten 5 bis 10 Prozent verlangsamt hätten. Inzwischen hat NuVue Technologies, Inc., für seine Kombinationstherapie mit Deposition der von der NASA entwickelten Mikrokapseln zwei US-amerikanische Patente erhalten. Sobald die Finanzierung gesichert ist, werden am MD Anderson Cancer Center in Houston, Texas, und am Mayo Cancer Center in Scottsdale, Arizona, klinische Studien zur direkten Injektion von Mikrokapseln mit Krebsmedikamenten in den Tumor beginnen.

Weitere potenzielle Einsatzgebiete für die Mikroverkapselungstechnologie sind unter anderem die Mikroverkapselung genetisch veränderter, lebender Zellen zur Injektion bzw. Transplantation in geschädigte Gewebe, Verbesserungen der Gewebereparatur beim Menschen sowie Echtzeitanalysen von Mikropartikeln in fließenden Probenströmen zur Überwachung des Durchflussvolumens in Pipelines in der Petrochemie.

Tara Ruttley, Ph.D., Associate International Space Station Program Scientist
NASA

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