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Das Bild zeigt, wie Salmonellen menschliche Zellkulturen befallen.
Science & Exploration

Impfstoffentwicklung auf der Internationalen Raumstation

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Hatten Sie je eine Lebensmittelvergiftung, die so schlimm war, dass Sie sich gefragt haben, warum eigentlich noch niemand ein Heilmittel oder eine zuverlässige Vorsorgemaßnahme dagegen entwickelt hat? Hatten Sie oder jemand aus Ihrem Umfeld schon einmal eine hochaggressive Staphylokokkeninfektion, die gegen nahezu jedes bekannte Antibiotikum resistent war? Die Entwicklung von Impfstoffen gegen diverse Krankheitserreger hat die gesundheitliche Situation weltweit in einer Weise verbessert, die wir uns noch zu Beginn des 20. Jh. nicht hätten vorstellen können. Aber noch immer werden wir von zahlreichen Krankheitserregern bedroht, vor denen wir uns gerne schützen würden. Heute macht man sich in der Impfstoffentwicklung die Schwerelosigkeit auf der Internationalen Raumstation zunutze.

Auf der Suche nach medizinischen Wirk- oder Impfstoffen gegen Salmonellen haben Timothy Hammond, Ph.D., vom Durham Veterans Affairs Medical Center, und Cheryl Nickerson, Ph.D., von der Arizona State University, Experimente unter Mikrogravitation durchgeführt. Salmonelleninfektionen gehören zu den häufigsten Lebensmittelvergiftungen in den USA. Weltweit gehören salmonellenbedingte Durchfallerkrankungen zu den drei häufigsten Todesursachen bei Kleinkindern. Ein Impfstoff dagegen könnte die gesundheitliche Situation gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern erheblich verbessern. Die Bedingungen im Weltraum, so konnte gezeigt werden, verändern mikrobielle Zellen in einer Weise, die sich unmittelbar auf ihr infektiöses Potenzial auswirkt. Unter anderem kommt es zu Modifikationen der mikrobiellen Wachstumsraten, der Antibiotikaresistenz, der Virulenz (Grad der Fähigkeit von Mikroorganismen, Krankheiten auszulösen) sowie zu genetischen Veränderungen im Mikroorganismus und seiner Fähigkeit, Wirtsgewebe zu befallen. Alles in allem konnte anhand dieser Forschungsarbeiten nachgewiesen werden, dass die Virulenz der Organismen unter Mikrogravitation zunimmt. Mithilfe der mikrogravitationsbedingten Veränderungen konnten Ziele identifiziert werden, die die Entwicklung von neuen, verbesserten Therapeutika ermöglichen, zum Beispiel von Impfstoffen, Biologika oder pharmazeutischen Wirkstoffen, die Krankheitserreger gezielt abtöten.

Cheryl Nickerson vom Biodesign Institute der Arizona State University
Cheryl Nickerson vom Biodesign Institute der Arizona State University

Schon 1998 begannen erste Forschungsarbeiten, die die Grundlage für die Impfstoffentwicklung unter Mikrogravitation legten. Damals wurde eine Studie von Cheryl Nickerson zu Veränderungen bei Salmonellen unter Mikrogravitation von der NASA finanziert. Dies war die erste von zahlreichen weiteren Studien des Teams an Salmonellen, die in echter Schwerelosigkeit oder auf der Erde in simulierter Schwerelosigkeit gezüchtet wurden.

Bei nachfolgenden Experimenten auf Space-Shuttle-Flügen zur ISS wurde die Virulenz des Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus, auch bekannt als MRSA, sowie weiterer Mikroorganismen untersucht. MRSA, eine Variante des Staphylococcus-Bakteriums, ist resistent gegen bestimmte Beta-Lactam-Antibiotika wie zum Beispiel Methicillin, Penicillin und Amoxicillin. Vor allem Patienten in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen sind von schweren, ja sogar lebensgefährlichen MRSA-Infektionen bedroht. Denn dort sind Patienten aufgrund von offenen Wunden, invasiven Geräten und geschwächtem Immunsystem einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt als Gesunde. Daher hat sich MRSA im Gesundheitswesen längst zu einem erheblichen Risikofaktor ausgewachsen.

Studien an Salmonellen und MRSA im Weltraum gehören zum Pathfinder-Programm des ISS U.S. National Laboratory, das den Nutzen der ISS als Forschungsplattform für die kommerzielle Forschung und Entwicklung belegen soll. Im Rahmen des Pathfinder-Programms wird mithilfe von Weltraumexperimenten untersucht, welche Bestandteile von Mikroorganismen deren Virulenz verstärken. So hofft man, Ziele für antimikrobielle Therapeutika wie etwa Impfstoffe zu finden, und durch die Erforschung von Faktoren, die dem Wachstum und der Virulenz von Bakterien zugrunde liegen, neuartige Therapeutika und Impfstoffe entwickeln zu können. Astrogenetix, ein kommerzielles Unternehmen, hat bei seiner Forschung an Salmonellen im Weltraum bereits einen Kandidaten für einen potenziellen Impfstoff gegen diesen Krankheitserreger entdeckt und plant zurzeit dessen Prüfung und kommerzielle Entwicklung.

Erst kürzlich haben zwei Teams der Arizona State University unter der Leitung von Cheryl Nickerson und Roy Curtiss III, Ph.D., in Zusammenarbeit miteinander Impfstoffproben hergestellt, die mit der Space-Shuttle-Mission STS-135 zur ISS geflogen wurden. Ziel ist es, die vorhandenen Impfstoffe gegen Streptococcus pneumonia zu verbessern, ein Bakterium, das lebensbedrohliche Erkrankungen wie Lungenentzündung, Hirnhautentzündung und Bakteriämie auslösen kann. Dieses Bakterium verursacht über 10 Millionen Todesfälle pro Jahr und ist für Neugeborene und alte Menschen besonders gefährlich, da diese weniger gut auf die heute verfügbaren Pneumokokken-Impfstoffe ansprechen. Ein weiterer Nachteil dieser Impfstoffe besteht darin, dass sie gespritzt werden müssen. Ein oraler Impfstoff namens RASV (Recombinant Attenuated Salmonella Vaccine) durchläuft zurzeit klinische Studien, und die Forscherteams der Arizona State University arbeiten daran, die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen Pneumokokken durch Stimulation einer maximalen Immunantwort zu verstärken. „Wir haben die Chance“, so Nickerson, „die Raumfahrt als einzigartige Forschungs- und Entwicklungsplattform für neuartige Wirkstoffe zu nutzen und damit weltweit verheerende Krankheiten zu bekämpfen.“ Die zur ISS geflogenen Proben enthielten einen genetisch veränderten Salmonellenstamm mit einem protektiven Antigen gegen Streptococcus pneumonia, das Lungenentzündungen verursacht. Die bei diesem Forschungsprojekt identifizierten molekularen Ziele sind vielversprechend für die Medizin: Man hofft, neue RASVs gegen Pneumokokken entwickeln und vorhandene verbessern zu können. Außerdem kann man RASVs gegen eine Vielzahl von Humanpathogenen erzeugen. Daher lassen sich die Studienergebnisse unter Umständen auch auf die Entwicklung anderer Impfstoffe übertragen, die nicht nur gegen Lungenentzündungen, sondern gegen zahlreiche weitere Krankheiten eingesetzt werden können.

Astronaut John Phillips, Spezialist auf der Mission STS-119, aktiviert das MRSA-Experiment auf dem mittleren Deck des Space Shuttles Discovery.
Astronaut John Phillips, Spezialist auf der Mission STS-119, aktiviert das MRSA-Experiment auf dem mittleren Deck des Space Shuttles Discovery.

Dieses Projekt belegt, dass das ISS U.S. National Laboratory eine wertvolle Forschungsplattform darstellt und zum Nutzen der Menschheit eingesetzt werden kann. Die Identifikation therapeutischer Ziele zur Bekämpfung von MRSA- und Salmonelleninfektionen ist nur ein Beispiel für die Vorteile einer schwerelosen Umgebung bei der Entwicklung neuer pharmazeutischer Wirkstoffe. Je weiter die Station ausgebaut wird, desto mehr Möglichkeiten werden sich bieten, das ISS U.S. National Laboratory für die Wirkstoffforschung zu nutzen. Und auch dies ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf eine Fülle weiterer potenzieller Entdeckungen in der Mikrogravitation. Die an den Projekten beteiligten Wissenschaftler planen eine kontinuierliche Serie von Experimenten in der Schwerelosigkeit der ISS und hoffen, möglichst schnell weitere Impfstoffe entwickeln und Leben retten zu können.

Tara Ruttley, Ph.D., Associate International Space Station Program Scientist
NASA

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