ESA title
Φ-week
Agency

Künstliche Intelligenz treibt Raumfahrt des 21. Jahrhunderts an

28/01/2021 2600 views 7 likes
ESA / Space in Member States / Germany
  • Angesichts der steigenden Anzahl von immer komplexer werdenden Satelliten im Weltraum sind die Aufrechterhaltung ihres sicheren Betriebs sowie die Maximierung des wissenschaftlichen Ertrags die Hauptanliegen
  • Künstliche Intelligenz bietet vielversprechende Lösungen für Herausforderungen der modernen Raumfahrt
  • Die ESA und das deutsche DFKI haben ein neues Lab zur Erforschung Künstlicher Intelligenz gestartet: ESA_Lab@DFKI

Wir schreiben den 4. Oktober 1957 und die Sowjetunion hat gerade den ersten Satelliten der Menschheitsgeschichte ins All befördert – Sputnik 1 umkreist die Erde im noch unberührten Orbit und läutet den Beginn des Weltraumzeitalters ein.

In den 1960ern und 1970ern nimmt die Anzahl der Starts rasch zu, ein Wettlauf ins All beginnt, an dem sich die USA, die Sowjetunion und andere Länder beteiligen. Sie haben den immensen Wert der Orbits über uns entdeckt und wollen diesen ausschöpfen. Dabei sind diese Bahnen rund um die Erde eine sehr wertvolle und begrenzte natürliche Ressource.

Über Weltraummüll, also im All verbliebenen Schrott oder stillgelegte Satelliten, macht man sich noch keine Gedanken.

Weltraumschrott
Weltraumschrott

In den 1980er und 90er-Jahren, sind die Programme Gemini und Apollo längst von Sojus und den Shuttles abgelöst worden, die aktiv in den erdnahen Orbit flogen, um die Internationale Raumstation auszubauen. Kurioses ereignete sich erstmals im September 1991, als das Discovery-Space Shuttle der NASA ihr Triebwerk für 7 Sekunden zünden musste, um Trümmerteilen des ausgemusterten Satelliten Kosmos 955 auszuweichen.

In den darauffolgenden Jahren mussten solche Manöver immer häufiger vollzogen werden. Bis 2020 führte alleine die ESA jährlich etwa 20 Kollisionsvermeidungsmanöver durch. Die Umweltverschmutzung in den Orbits rund um unseren Heimatplaneten nimmt langsam, aber stetig zu.

Die Zukunft ist angekommen

Im Januar 2021, hat die ESA aktuelle Zahlen zu diesem Thema veröffentlicht: Etwa 28.210 Schrottteile befinden sich in Umlaufbahnen – und sie alle sind groß genug, um einen aktiven Satelliten zu beschädigen oder sogar zu zerstören. Deshalb ist es an der Zeit zu handeln.

"Die Notwendigkeit einer automatisierten Kollisionsvermeidung ist beispielhaft dafür, wie die Raumfahrt des 21. Jahrhunderts dramatisch an Komplexität zunimmt", sagt Thomas Reiter, ESA-Koordinator für internationale Agenturen und Berater des ESA-Generaldirektorats.

"Künstliche Intelligenz wird unabdingbar, um diese Komplexität zu bewältigen, um unsere Weltrauminfrastruktur zu betreiben, zu vernetzen, zu koordinieren und zu schützen und um das Beste aus den Daten unserer wissenschaftlichen Satellitenmissionen herauszuholen."

Teamarbeit in Deutschland

Copernicus Sentinel-Aufnahme von Darmstadt
Copernicus Sentinel-Aufnahme von Darmstadt

Um diese Bedürfnisse abzudecken, richten die ESA und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) ein neues Technologietransfer-Lab auf dem Gelände des DFKI in Kaiserslautern ein.

Am 27. Januar starteten die beiden Organisationen das „ESA_Lab@DFKI“, in dessen Rahmen Anwendungen entwickelt werden sollen. Dazu gehört die gemeinsame Entwicklung von KI-Systemen für autonome Satelliten, die Interpretation umfassender, komplexer Missionsdaten sowie die Möglichkeiten der Kollisionsvermeidung.

Das Lab profitiert dabei von der Nähe des DFKI zum ESOC, dem Europäischen Satellitenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt, von wo aus 22 ESA-Missionen gesteuert werden und das Weltraumsicherheitsprogramm der Organisation beheimatet ist. Dieses konzentriert sich auf Gefahren, die von Weltraummüll, Asteroiden und dem Weltraumwetter ausgehen.

„Künstliche Intelligenz und Weltraum gehören zusammen“, sagt Professor Antonio Krüger, CEO des DFKI. „KI kann Komplexitäten bewältigen, die weit über die physischen und mentalen Kapazitäten des Menschen hinausgehen. Der rasche technische Fortschritt in diesem Feld ermöglicht die Entwicklung von neuen Projekten, die noch vor kurzer Zeit schlicht undenkbar gewesen sind.“

„Die Einrichtung dieses ‚Transfer-Labs‘ ist der nächste Schritt der Kollaboration zwischen der ESA und dem DFKI“, sagt Professor Andreas Dengel, geschäftsführender Direktor und Leiter des Forschungsbereichs Smart Data & Knowledge Services am DFKI. „Gemeinsam werden wir die größten Herausforderungen der modernen Raumfahrt identifizieren und angehen“.

KI für die Erforschung des Sonnensystems…

ExoMars Rosalind Franklin rover
ExoMars Rosalind Franklin rover

Wenn der Mensch tiefer in das Sonnensystem vordringt, wird KI unser ständiger Begleiter sein. Bei der zukünftigen Erforschung des Mondes und des Mars werden Astronauten mit intelligenten Maschinen arbeiten, darunter Laboren im Orbit, Landern, Rovern und festen Infrastrukturen auf dem Erdtrabanten und Planeten.

„KI ist für den Betrieb dieser Maschinen unerlässlich, vor allem für die autonome Entscheidungsfindung, Risikoabschätzung sowie die Aufrechterhaltung von Gesundheit und Sicherheit der menschlichen und robotischen Forscher“, erklärt Alessandro Donati, Manager für Künstliche Intelligenz und Operationen im ESA-Raumflugkontrollzentrum.

… und die Erforschung unserer Erde

Prozess des Einfangens von Weltraumschrott
Prozess des Einfangens von Weltraumschrott

Künstliche Intelligenz wird auch eine neue Generation von "hochintelligenten Satelliten" vorantreiben, die uns dabei helfen, unseren Heimatplaneten besser zu verstehen, den Klimawandel zu lösen und die nachhaltige Nutzung des Weltraums in Zukunft sicherzustellen.

Bei der ESA gilt die Entwicklung von Technologien, die eine Autonomie an Bord der Raumfahrzeuge ermöglichen, als wesentlich für alle Arten zukünftiger Missionen. Dazu gehören innovative Erstlingsmissionen wie die Mission Hera zur Umleitung eines Asteroiden und Clearspace-1, die weltweit erste Mission zur Entfernung von Weltraummüll, die derzeit auf den Start im Jahr 2025 vorbereitet wird. Auch herkömmliche Missionen, die gewaltige Datenmengen für uns Menschen liefern, damit wir Internet-, Navigations- und Telekommunikationsdienstleistungen in Anspruch nehmen können, gehören dazu.

Künstliche Intelligenz ist auch entscheidend für die Analyse der Daten, die von Beobachtungssatelliten wie den Earth Explorers der ESA und denen des europäischen Copernicus-Programms bereitgestellt werden.

Diese Daten sind viel zu umfangreich, um nur von Menschen analysiert werden zu können. KI-Systeme auf der Erde können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dabei helfen, zentrale Muster und Zusammenhänge zu erkennen sowie neue Erkenntnisse zu gewinnen, zum Beispiel darüber, wie sich unser Klima verändert.

Künstlerische Darstellung von Ops-Sat
Künstlerische Darstellung von Ops-Sat

Der OPS-SAT der ESA, ein kleiner Nanosatellit, der 2019 ins All gestartet ist, erlaubt es europäischen Forscherinnen und Forschern aus Industrie und Wissenschaft, in verschiedenen Bereichen mit innovativer Software zu experimentieren, darunter KI für das Erkennen von Mustern, automatisiertes Planen, Deep Learning und die automatisierte Durchführung von Manövern.

Die Partnerschaft zwischen der ESA und dem DFKI wird diese und weitere grundlegende Anstrengungen der Technologieentwicklung im Zusammenhang mit KI unterstützen. Dies wird das Spektrum und den Umfang von Innovationen weiter vergrößern, die sich von der akademischen Forschung zu fortgeschrittenen industriellen Anwendung entwickeln.

Die Initiative ESA_Lab@

Die Initiative ESA_Lab@
Die Initiative ESA_Lab@

ESA_Lab@s sind gemeinsame Initiativen zwischen der ESA und akademischen bzw. Forschungsinstitutionen. Die Institutionen steuern Vorschläge zu innovativen Forschungen bei, die die Raumfahrt mit der wissenschaftlichen Expertise und Studierenden mit Lehrenden verbinden. Gleichzeitig steuert die ESA technisches Fachwissen aus der gesamten Organisation sowie Wissen aus erster Hand über die Herausforderungen der modernen Raumfahrt bei.

Weitere bestehende ESA_Lab@s, die sich mit künstlicher Intelligenz befassen, wurden zuvor mit der Universität Oxford und dem University College London eingerichteten.

Related Articles