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Eine Dnepr-Rakete startet
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Vom Satan zum Friedensengel: Die Konversionsrakete Dnepr

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ESA / Space in Member States / Germany

Gemäß internationalen Abrüstungsverträgen müssen die Interkontinentalraketen SS-18 „Satan" vernichtet werden. Durch Hinzufügen einer Oberstufe entsteht aus der SS-18 die Trägerrakete Dnepr, die Satelliten in den Erdorbit bringt. Eine Vernichtung, die Geld bringt.

Der stärkste Satan der Welt

Bei der russisch-ukrainischen Trägerrakete Dnepr handelt es sich um eine Konversionsvariante der Interkontinentalrakete RS 20 (R 36M). Dieser Raketentyp ist außerhalb Russlands unter den Code-Bezeichnungen SS 18 bzw. Satan bekannt geworden. Die zweistufige RS 20 (SS 18) und deren Weiterentwicklungen verkörperten die dritte und vierte Generation sowjetischer Interkontinentalraketen. Während des Kalten Krieges galt die SS 18 als weltweit leistungsstärkste ballistische Interkontinentalrakete.

Alle Träger-Versionen der RS 20 wurden im ukrainischen Dnepropetrowsk beim Raumfahrtunternehmen Jushnoje/Juschmasch hergestellt. Gemäß internationalen Abrüstungsverträgen müssen diese Raketen vernichtet werden. Die billigste Art der Vernichtung ist ihre Nutzung zum Transport von Satelliten. Durch Hinzufügen einer Oberstufe wird aus der zweistufigen Flüssigkeitsrakete die dreistufige Konversionsrakete Dnepr.

Kommerz aus dem Schacht

CryoSat-2 unter der Nutzlastverkleidung (Grafik)
CryoSat-2 unter der Nutzlastverkleidung (Grafik)

Während die ersten beiden Stufen ohne Modifikationen von der RS 20 (R 36M) übernommen worden sind, kommt als dritte Stufe ein sogenannter MIRV-Bus (Multiple Independently targetable Re-entry Vehicle) zum Einsatz – eine kleine spezielle Raketenstufe – deren ursprüngliche Aufgabe es war, Atomsprengköpfe auf unterschiedlichen Flugbahnen auszusetzen. Der Dnepr-Bus ist zum Einschießen der Satelliten in die korrekte Umlaufbahn nötig, er unterscheidet sich lediglich durch ein modifiziertes Steuerungssystem. Rein theoretisch können mit dem Bus bis zu 36 Kleinsatelliten auf unterschiedlichen Flugbahnen ausgesetzt werden.

Die dreistufige Dnepr (Höhe 34,3 m, Durchmesser 3 m) hat vollbetankt eine Startmasse von 211 Tonnen. Als Treibstoff wird Geptil sowie als Oxidator Stickstofftetroxid verwendet. Geptil ist die russische Bezeichnung für unsymmetrisches Dimethylhydrazin (UDMH). Die Nutzlastkapazität der Dnepr liegt bei 3,75 Tonnen.

Kommerzieller Anbieter der Dnepr ist das russisch-ukrainische Unternehmen Kosmotras. Die Startkosten belaufen sich nach russischen Angaben auf 30 Millionen Dollar (22 Millionen Euro) je Mission. Damit bekommt der Kunde für wenig Geld viel Raumfahrt. Für den Umbau der SS 18 zur Dnepr stehen nach Angaben von Kosmotras noch 150 eingelagerte Interkontinentalraketen zur Verfügung.

Der Start der Dnepr erfolgt aus den Silos der SS 18 von den Kosmodromen Baikonur (Kasachstan) und Jasni/Dombarowski (Russland). Die Dnepr ist nach einem Testflug (1998) bislang für 13 Weltraummissionen eingesetzt worden, davon waren zwölf Starts erfolgreich.

CryoSat-2 und das Kosmodrom Baikonur

Das in Kasachstan gelegene Kosmodrom Baikonur ist mit 6717 Quadratkilometern der weltgrößte Raketenstartplatz. Legendäre Erstleistungen sind mit Baikonur verbunden: Sputnik 1 eröffnete 1957 das Zeitalter der Raumfahrt, 1961 flog Juri Gagarin als erster Mensch in den Kosmos. Baikonur verfügt über 52 Rampen und Silos zum Abschuss von Raumfahrt- und Militärraketen, 34 technische Komplexe, Betankungsstationen, Rechenzentren u.v.a.

Eine wechselvolle Geschichte begleitet den größten Startplatz. Baikonur ist heute eine russische Enklave auf kasachischem Territorium mit besonderen Gesetzen. Zwei Währungen – der kasachische Tenge und der russische Rubel – existieren parallel. Noch heute ist die Stadt mit einer Mauer umgeben und kann nur mit Passierschein betreten werden. Moskau ist drei Flugstunden entfernt. Der Zeitunterschied zur Mitteleuropäischen Zeit beträgt vier Stunden.

Dass der Eisforschungssatellit CryoSat-2 nun mit einer Dnepr-Rakete von Baikonur und nicht wieder mit einer Rockot von Plessezk gestartet wird, hat nichts mit einem Misstrauen der ESA gegenüber den Rockot-Raketen zu tun. Bester Beweis: Die Europäische Weltraumorganisation hat auch nach dem Fehlstart von CryoSat-1 mit GOCE und SMOS weitere Erderkundungssatelliten mit Rockot gestartet und hätte diesen Träger auch aktuell genutzt – wenn er zum Startzeitpunkt verfügbar gewesen wäre. So musste die ESA auf die Dnepr-Rakete ausweichen.

Zum Zeitpunkt des Starts können in der Steppenlandschaft von Baikonur noch Wintertemperaturen um bis zu –30 °C sowie kräftige Nordwinde auftreten und den Aufenthalt im Freien recht unangenehm werden lassen. Beobachter dürfen dem Start der Dnepr aus sieben Kilometer Entfernung beiwohnen. Aufgrund des giftigen Treibstoffs ist dieser Sicherheitsabstand notwendig. Der Start der Dnepr mit dem Satelliten CryoSat-2 ist aus dem unterirdischen Schacht der Siloanlage „Wojewoda" geplant.

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