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Chelyabinsk asteroid trail
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Asteroideneinschlag in Russland: Aktuelle Informationen und Bewertung der ESA

19/02/2013 11798 views 22 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Die ersten Details zum Asteroideneinschlag in Russland – der größte beobachtete seit dem Tunguska-Ereignis 1908 – zeichnen sich ab. Das Near Earth Objects-Team der ESA bewertet diese wichtigen Informationen sorgfältig für die Entwicklung ihres Programms zur Katalogisierung von Asteroiden.

Am 15. Februar 2013 um 3:20 Uhr UTC (04:20 MEZ) trat ein natürliches Objekt in die Erdatmosphäre ein und verglühte am Himmel über Tscheljabinsk in Russland.

Zahlreiche Videos vom Eintritt zeigen die Richtung der Flugbahn von Nordost nach Südwest und den Eintrittswinkel, der mit etwa 70° von der Senkrechten sehr flach ist. Die Eintrittsgeschwindigkeit wurde auf 18 km/s geschätzt, das sind mehr als 64.000 km/h.

Nach den neuesten Berechnungen von Peter Brown an der University of Western Ontario in Kanada mittels Infraschall-Daten (Schallwellen von extrem niedriger Frequenz), die mit einem globalen Netzwerk überwacht werden, wird der Durchmesser des Tscheljabinsk-Objekts auf 17 Meter und die Masse auf etwa 7.000 bis 10.000 Tonnen geschätzt. Es explodierte mit einer Kraft von nahezu 500 Kilotonnen TNT (ungefähr das 30-fache der Energie, die bei der Hiroshima-Bombe freigesetzt wurde) etwa 15–20 Kilometer über der Erdoberfläche.

Nach unseren heutigen Erkenntnissen über die Population erdnaher Objekte (engl. Near-Earth Objects –NEO) sind Ereignisse dieser Tragweite einmal alle paar Jahrzehnte bis zu 100 Jahre zu erwarten.

Dabei ist anzumerken, dass diese Ergebnisse vorläufig sind und aktualisiert werden können, sobald neue Daten bestätigt werden. 

Antworten vom SSA-Team der ESA

Orbit around Sun
Orbit around Sun

Nicolas Bobrinsky, Leiter des ESA-Programms zur Weltraumlageerfassung (Space Situational Awareness - SSA) und Detlef Koschny, verantwortlich für die NEO-Aktivitäten im SSA-Programmbüro, beantworteten Fragen zum Ereignis und erklärten die ESA-Aktivitäten in diesem Bereich.

Hatte dieses Ereignis in irgendeiner Weise etwas mit dem bereits vorhergesagten Vorbeiflug des Asteroiden 2012 DA14 zu tun, der die Erde am 15. Februar um 20:27 MEZ in gerade einmal 28.000 Kilometern Entfernung passierte?

Koschny: Die Richtung der Flugbahn, der Ort des Eintritts in die Atmosphäre und der große Zeitunterschied zwischen den beiden Ereignissen weisen darauf hin, dass das Objekt in Russland nichts mit dem Asteroiden 2012 DA 14 zu tun hatte.

Was war die Ursache für die Schäden am Boden? Haben Bruchstücke des Objekts Menschen oder Gebäude getroffen?

Koschny: In vielen Medien wurde von einer Druckwelle berichtet, die durch die Explosion des Objekts etwa 15–20 Kilometer über der Oberfläche erzeugt wurde. Dadurch sind Fenster zu Bruch gegangen und Gebäude im Zentrum von Tscheljabinsk beschädigt worden. Der genaue Überdruck, der Fenster zerbersten lässt, hängt neben anderen Faktoren von dem Aufbau und der Konstruktion ab. Normalerweise kommt es ab einem Überdruck von ungefähr 500 Pa (das ist in etwa das 5-fache des normalen Luftdrucks auf Meereshöhe) zu Schäden. Weitreichende Schäden an Fenstern sind beim etwa 10- bis 20-fachen dieses Wertes zu erwarten.

Während sich die Explosion und der Feuerball entlang einer flachen Flugbahn fortpflanzten, hätte sich die zylindrische Druckwelle direkt zum Boden ausbreiten können und wäre sehr intensiv gewesen. Das Finale der Explosion fand wahrscheinlich fast direkt über Tscheljabinsk statt, wahrscheinlich der größte Einzelfaktor, der für die Schäden durch die Druckwelle verantwortlich war.

Wir warten noch auf die Bestätigung von den russischen Behörden, dass Teile des Objekts – Bruchstücke des Meteoriten – in der Region gefunden wurden. Wir haben bislang keine Kenntnis von Medienberichten, dass jemand oder ein Gebäude von Trümmerteilen des Objekts selbst getroffen wurde.

Hat es in der Vergangenheit ähnliche Ereignisse gegeben?

Koschny: Ja. Das wahrscheinlich berühmteste Ereignis ist die Tunguska-Explosion aus dem Jahre 1908. Dort explodierte ein Meteorit oder ein Fragment eines Kometen mit einer Größe von vermutlich 40 Metern in einer Höhe von 5 bis 10 Kilometern. Es war bislang der größte seit Aufzeichnungsbeginn, obwohl viel größere Einschläge in der geologischen Geschichte bekannt sind.

Am 12. Februar 1947 gab es das Sikhote-Alin-Ereignis in der damaligen Sowjetunion. Damals wurde der Großteil der Energie von 10 Kilotonnen TNT auf dem Boden freigesetzt, nicht in der Luft wie letzte Woche.

Am 8. Oktober 2009 erzeugte ein Impaktor ähnlich wie der letzte Woche einen atmosphärischen Feuerball über einer Inselregion Indonesiens. Er hatte eine Energie von etwa 5 Kilotonnen.

Wie hoch ist das Risiko, dass etwas Ähnliches in der Zukunft passiert?

Koschny:  Erdnahe Objekte, sogenannte Near-Earth-Objects (NEO) sind Asteroiden oder Kometen mit Größen zwischen wenigen Metern und zehn oder mehr Kilometern. Sie umkreisen die Sonne und haben eine ähnliche Umlaufbahn wie die Erde.

Derzeit sind über 600.000 Asteroiden in unserem Sonnensystem bekannt. Mehr als 9.000 davon sind NEOs, d.h. ihre Orbits liegen im Bereich der Umlaufbahn der Erde. Sobald ein Objekt entdeckt wird, kann man seine Umlaufbahn berechnen und für dieses Objekt ein individuelles Risikoprofil erstellen. Die ESA führt eine öffentlich zugängliche Liste dieser Objekte unter http://neo.ssa.esa.int/web/guest/risk-page

Final trajectory
Final trajectory

Wie erhält das SSA-Team der ESA Informationen?

Koschny:  Wie die NASA und andere nationale Raumfahrtbehörden hält die ESA engen Kontakt zu Regierungsorganen für den technischen und wissenschaftlichen Informationsaustausch. Diese Informationen werden auch auf Regierungsebene diskutiert, darunter befindet sich der Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums der Vereinten Nationen (UNCOPUOS). (Übrigens beantworte ich diese Fragen gerade per E-Mail von einem Treffen des wissenschaftlich-technischen Unterausschusses in Wien, wo das Ereignis in Russland ganz oben auf der Tagesordnung steht.) Wir arbeiten auch eng mit den NEO-Teams der NASA und den europäischen Raumfahrtbehörden zusammen.

 

Wie sieht ein mögliches Szenarios für eine Asteroidenwarnung aus?

Koschny:  Ein sehr gutes Beispiel ist der konkrete Fall des 2008 TC3, ein 80 Tonnen schweres 2 –5 Meter großes Objekt, das am 7. Oktober 2008 in der Wüste von Sudan eingeschlagen ist. Es war sehr klein und wurde durch Zufall keine 20 Stunden vor dem Einschlag entdeckt. Erste, grobe Beobachtungen wiesen auf ein mögliches Einschlagsgebiet von über 2.000 Kilometern Länge hin. Innerhalb weniger Stunden konnte man dieses Gebiet auf einen Bereich von der Größe der Wüste von Sudan präzisieren. In einem ähnlichen Fall in der Zukunft wären die Zivilbehörden in der Lage, die Bevölkerung in dem eingegrenzten Gebiet anzuweisen, von Fenstern, Glas oder anderen Gebäudeteilen fernzubleiben und die Häuser nicht zu verlassen. Das Risiko, dass so ein Airburst und die damit einhergehende Druckwelle Menschen durch Glassplitter oder Trümmer verletzt, würde deutlich reduziert werden.

Wie trägt die ESA dazu bei, Asteroiden zu finden, die die Erde treffen könnten?

Bobrinsky: Unser SSA-Programm unterstützt bereits Astronomenteams in ganz Europa bei der ständigen Beobachtung des Himmels. Die Aufgabe ist komplex und erfordert sehr gute Ausrüstung und erfahrene Astronomen. Letztendlich geht es aber um einen ganz simplen Prozess: Man erstellt Bilder des Nachthimmels und sucht dann nach sich bewegenden Lichtpunkten. In den letzten paar Jahren haben von der ESA unterstützte Teams an verschiedenen Observatorien einige vorher unbekannte Objekte entdeckt, darunter auch den Asteoriden 2012 DA14, der diesen Freitag in der außergewöhnlich geringen Entfernung von nur 28.000 Kilometern vorbeiflog.

Diese Bemühungen sind jedoch nur der Anfang. Wir müssen die Suche auf eine langfristig wirksame Basis stellen, indem wir unsere Beobachtungsfähigkeit verbessern.

Die ESA plant im Rahmen ihres Programms zur Weltraumlageerfassung die Einrichtung des sogenannten „Wide-Survey“, ein Netzwerk aus automatischen 1-Meter-Teleskopen. Dieses System würde den kompletten Himmel einmal pro Nacht nach beweglichen Objekten absuchen. Es wäre in der Lage, Objekte von der Größe des Meteors in Russland letzte Woche einige Tage vor dem Eintritt in die Atmosphäre zu entdecken – vorausgesetzt, man sieht sie sich vom Nachthimmel aus annähern.

Das Programm soll auch weltraumgestützte Beobachtungsmissionen der ESA wie Gaia nutzen.

Die Finanzierung des SSA-Programms der ESA ist bereits gesichert und es verfügt über ein Mandat der ESA-Mitgliedsstaaten, ein erstes Prototypen-Teleskop zu bauen.

Für die vollständige Überwachung sind vier bis sechs Teleskope notwendig.

Zusammenfassung

 

Am 15. Februar 2013 wurde über der russischen Stadt Tscheljabinsk ein sehr großer Feuerball gesichtet. 

  • Zeit des Einschlags: 03:20:26 UTC am 15.02.2013
  • Position: Breitengrad: 55° 10' Nord, Längengrad: 61° 25' Ost
  • Eintrittswinkel: 20 Grad zur Oberfläche
  • Eintrittsgeschwindigkeit: unter 20 km/s
  • Verlauf der Flugbahn: Von Nordosten nach Südwesten
  • Durchmesser des Asteroiden vor dem Eintritt in die Atmosphäre: etwa 15 Meter
  • Kinetische Energie: 500 kt TNT-Äquivalent (entspricht dem 30-fachen der Energie der Hiroshima-Bombe).
  • Höhe der Explosion: 15–25 km.

 

Diese Ergebnisse sind vorläufig und können aktualisiert werden, sobald neue Daten bestätigt werden.

 

Hinweis*: Infraschall-Daten werden von zahlreichen Überwachungsstationen bezogen, die von der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (engl.: Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization, CTBTO) betrieben werden. Eine Station in Alaska hat den Airburst erfasst.

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