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Kaltes Plasma – frische Pommes

09/12/2016 2322 views 17 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Unangenehme Gerüche in Restaurants und Imbissbuden, in denen viel frittiert wird, gehören dank ESA-geförderter Experimente auf der Internationalen Raumstation, ISS, bald der Vergangenheit an.

Beim Frittieren in heißem Fett oder Öl, beispielsweise von Pommes Frites, werden unangenehm riechende Moleküle freigesetzt, die nur äußerst schwer beseitigt oder aufgespalten werden können. Diese Gerüche werden in der Regel mit sperrigen und teuren Abzugshauben mithilfe von Chemikalien beseitigt, die als Nebenprodukt Ozon erzeugen – das aufgrund seiner Auswirkungen auf die Gesundheit ebenfalls entfernt werden muss.

Der deutsche Frittierstationen-Hersteller Blümchen verfolgt einen anderen Ansatz. Dieser basiert auf den Plasmaexperimenten, die seit 2001 auf der Internationalen Raumstation, ISS, durchgeführt werden.

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Erzeugung von kaltem Plasma
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Normalerweise ist Plasma ein heißes, elektrisch geladenes Gas. Allerdings kann bei Raumtemperatur auch ‘kaltes Plasma’ erzeugt werden. Kaltes Plasma hat sich als äußerst effektives Bakterizid bewährt und ist sogar in der Lage Pilze, Viren und Sporen zu beseitigen. Es kann berührt werden, was es für zahlreiche Anwendungen attraktiv macht.

Die Verfahren zur Erzeugung kalten Plasmas wurden am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik entwickelt. Der Einsatz von Elektronen zur Erzeugung von Plasma für die Geruchsbeseitigung wurde dort patentiert.

Die ESA hat das Projekt finanziert und es wurde in Zusammenarbeit mit der Russischen Raumfahrtbehörde umgesetzt. Die Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Gregor Morfill waren für die ersten Experimente auf der Station verantwortlich. Sein Team nutzte die Schwerelosigkeit im Orbit, um komplexe Plasmen zu untersuchen, die den Anstoß zur Entwicklung der Technologien für die Erzeugung von kaltem Plasma lieferten.

Weltraumplasma-Experiment
Weltraumplasma-Experiment

Die jüngste, vierte Version dieses Experiments läuft weiterhin auf der Raumstation. Damit ist das Experiment zur Untersuchung von Plasma das am längsten laufende Experiment im Weltraum.

Durch einen Zuschuss der ESA konnte diese Wissensgrundlage aus dem Weltraum für den praktischen Einsatz auf der Erde genutzt werden. Seit 2013 ist Prof. Morfill CEO der Firma Terraplasma, die kaltes Plasma bereits erfolgreich in medizinischen und hygienetechnischen Anwendungen sowie in der Wasseraufbereitung eingesetzt hat.

 

Zur Beseitigung unangenehmer Gerüche erzeugt das neue System von Terraplasma das Plasma durch die Zündung einer glühenden elektrischen Entladung in der Luft an einer kurzen Stabelektrode, die im Zentrum einer zylinderförmigen Elektrode angebracht ist. Die Entladung verläuft anfänglich geradlinig, mit einer Dicke von etwa 1 mm, zwischen den beiden Elektroden. Wenn sie jedoch durch ein Magnetfeld schnell in Bewegung versetzt wird, bildet sich eine Plasmascheibe. Unangenehm riechende Luft wird anschließend zur Reinigung durch diese Scheibe hindurch geleitet

Vom Weltraum in die Küche

Die deutsche EurA Consult aus dem Vermittlungsnetz des ESA Technologietransfer-Programms ist bereits seit geraumer Zeit mit dem Spezialgebiet von Prof. Morfill und seinem Erfolg mit den Nebenprodukten bei Terraplasma vertraut. Sie stellte Blümchen die Technologie vor, da das Unternehmen auf der Suche nach besseren Lösungen für Abzugshauben nach Industriestandard war.

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Plasmafilter
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“In dieser Branche werden innovative Technologien traditionell seltener eingesetzt, aber wir erkannten ein großes Potential”, sagt Johannes Schmidt von EurA Consult.

“Ein unterstützender Faktor war die Offenheit beider Unternehmen, ihre kreative Denkweise und die schnelle Umsetzung, sodass neue Entwicklungen unverzüglich auf den Markt gebracht werden konnten.

“Das neue Konzept setzt Elektronen im Plasma ein, um Gerüche zu neutralisieren”, erklärt Prof. Morfill.

“Die dünne Plasmaschicht spaltet aggressive Moleküle in harmlose Bestandteile auf, die geruchsneutral sind und anschließend nicht beseitigt werden müssen.

“Diese Methode ist außerdem tausendmal schneller als althergebrachte, chemische Verfahren.”

Frittierstation mit Plasmafilter
Frittierstation mit Plasmafilter

Die Filterkartusche ist lediglich 10 cm lang. Sie kann in bestehende Filtersysteme integriert aber auch in neue, wesentlich kleinere Konstruktionen eingebaut werden. Die Besitzer kleiner Imbissbuden und selbst Privathaushalte können von diesen neuen Abzugshauben auf der Grundlage von Plasmafiltern profitieren.

“Der potentielle Markt ist riesig”, meint Georg Hirtz, CEO von Blümchen. “Allein in Deutschland gibt es theoretisch 600.000 Systeme. Bei einer durchschnittlichen Lebensdauer von 10 Jahren sind also rund 60.000 Einheiten pro Jahr erforderlich.

“Bei einer Entwicklung für Privathaushalte steigt diese Rate auf 10 Millionen Abzugshauben, die jährlich an Haushalte in Europa verkauft werden könnten.”

Plasmafilter
Plasmafilter

Ein Prototyp ist für 2017 geplant. Die ersten Geräte, die diesen raumfahrttechnologischen Ableger einsetzen, kommen wahrscheinlich ab dem Frühjahr 2018 auf den Markt. Blümchen wird die Filter herstellen und liefern oder die Technologie in Lizenz an andere Abzugshaubenhersteller vergeben. 

In der Zwischenzeit erforscht und entwickelt Terraplasma weiterhin neue terrestrische Anwendungen unter Einsatz der Forschungsergebnisse aus dem Weltraum rund um das kalte Plasma. Gemeinsam mit dem deutschen Medizintechnikunternehmen Dynamify wurde die Terraplasma Medical im bayrischen ESA Inkubationszentrum ins Leben gerufen, um Systeme für die Behandlung chronischer und akuter Wunden und Hautkrankheiten zu entwickeln.

Das Unternehmen forscht auch auf dem Gebiet neuer medizinischer Systeme für den Einsatz der kalten Plasma-Technologie für zukünftige Langzeit-Raumflüge.

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