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Wenn zwischen zwei Beobachtungen die Kamera von XXM Newton „weiterfilmt“, entstehen im Laufe der Jahre solche Darstellungen. Das Bild oben enthält Informationen von über 1200 Schwenks, 73178 Einzelbilder trugen dazu bei. Es erfasst 62 Prozent des Himmels. Bekannte Röntgenquellen sind zu erkennen, etwa das Vela-Supernova-Relikt (das helle Objekt weit rechts).
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Röntgenausbruch kündet vom Ende eines Sterns

17/06/2014 1579 views 18 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Mit dem europäischen Weltraumteleskop XMM Newton haben Astronomen zwei Schwarze Löcher bei ihrer „Mahlzeit“ erwischt: Das Doppel-Loch vertilgte einen ganzen Stern.

TV-Reporter, die zwischen zwei Interviews ihre Kameras weiterlaufen lassen, dürften bisweilen interessante Storys aufstöbern. Ähnlich erging es Astronomen, die mit dem Röntgen-Satelliten XMM Newton den Himmel studieren: Mit dem Weltraumteleskop der ESA konnten sie zufällig beobachten, wie zwei schwarze Löcher einen Stern verspeisten. Beobachtungen und Analysen präsentieren die Forscher kürzlich in einer Ausgabe des Astrophysical Journal.

Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass im Zentrum der meisten großen Galaxien zumindest ein Schwarzes Loch existiert. Dabei sind nicht diejenigen Objekte gemeint, die bei einer Supernova, also der Explosion eines schweren Sterns zurückbleiben können; diese nennen die Experten stellare Schwarze Löcher. Die „supermassiven Schwarzen Löcher“, um die es hier geht, sind erheblich schwerer. Das Exemplar unserer Milchstraße bringt beispielsweise 4,6 Millionen Sonnenmassen auf die Waage. Solche gewaltigen Schwarzen Löcher sind das Metier der Röntgen-Astronomen, sie werden mit Weltraum-Observatorien wie XMM Newton beobachtet. „Normalerweise registriert XMM für eine gewisse Zeit die Röntgenstrahlen eines Objektes, dann schwenkt es zu einer neuen Positionen am Himmel“, erklärt Norbert Schartel, XMM Newton Projekt-Wissenschaftler bei der ESA.

Röntgenlicht aus zwei Milliarden Lichtjahren Distanz

 Das Röntgen-Auge der ESA: XMM Newton
Das Röntgen-Auge der ESA: XMM Newton

Der Trick ist nun, dass während der Schwenkbewegung eine Kamera des Satelliten eingeschaltet bleibt und die Röntgenstrahlung weiter aufzeichnet, wie beim erwähnten TV-Reporter. Am Himmel werden so eine große Anzahl zufällig verteilter Positionen erfasst. Schartel: „Diese Daten können wir mit bereits verfügbaren XMM-Daten oder mit älteren Messungen des deutschen Röntgensatelliten ROSAT vergleichen. Da der Röntgen-Himmel viel variabler ist als im Sichtbaren, kann man so auf ganz unerwartete Quellen stoßen und überraschende Entdeckungen machen.“ Zurück zu den Schwarzen Löchern. Normalerweise sind diese Objekte Singles, paarweise treten sie nur sehr selten auf. Bisher wurden lediglich eine Handvoll Kandidaten solcher Doppel-Löcher aufgespürt, und zwar ausschließlich in sogenannten aktiven Galaxien.

 

In deren Kernen werden die Schwarzen Löcher beständig mit interstellaren Gaswolken gefüttert: Die Wolken werden zerrissen und das Gas auf Spiralbahnen gezwungen, die unweigerlich im hungrigen Schlund der Löcher enden. Dabei wird das Gas soweit erhitzt, dass es aufleuchtet – auch mit energiereicher Röntgenstrahlung. Deshalb haben aktiven Galaxien besonders leuchtkräftige Zentren. Bei einem Schwenk am 10. Juni 2010 blickte XMM kurz auch in die Richtung der rund zwei Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie J120136. Als später die Astrophysiker die Daten auswerteten, fanden sie eine auffällige, bisher nicht beobachtete Röntgenquelle. Eilig wurden weitere Beobachtungen mit XMM und dem Swift-Satelliten der NASA angesetzt. Wenige Tage später war die Galaxie wieder im Visier der Astronomen: Sie strahlte immer noch im Röntgenlicht, wurde aber zunehmend schwächer. 27 Tage nach der Entdeckung fiel das Signal schließlich unter die Nachweisgrenze. Doch das war nicht das Ende, denn drei Wochen nach dem Verschwinden war das Röntgensignal wieder da. Dann folgte die schon bekannte Abschwächung.

Premiere bei den Doppel-Löchern

Über 13000 Röntgenquellen enthält diese Darstellung des "XMM-Newton-Slew-Survey"-Katalogs: Blau markierte Quellen strahlen hartes, rote eher weiches, also energieärmeres Röntgenlicht.
Über 13000 Röntgenquellen enthält diese Darstellung des "XMM-Newton-Slew-Survey"-Katalogs: Blau markierte Quellen strahlen hartes, rote eher weiches, also energieärmeres Röntgenlicht.

Die Analyse ergab: Die Galaxie beherbergt ein Paar supermassiver Schwarzer Löcher – erstmals beobachtet in einer nicht aktiven Galaxie. Dort, wo es gar keine verzehrbaren Gaswolken gibt, stillen die Schwarzen Löcher ihren Appetit offenbar mit größeren Happen: nämlich mit Sternen. Zuvor werden diese von den enormen Gezeitenkräften der Schwarzen Löcher in Stücke gerissen. Solche Tidal Disruption Events werden von starken Röntgenausbrüchen begleitet. Laut dem Erstautor der Studie, Fukun Liu von der Peking-Universität, entspricht der seltsame „Helligkeitswechsel“ genau dem Verhalten, das von einem Paar sich umkreisender supermassiver Schwarzer Löcher erwartet wird. Modellrechnungen zeigen demnach, dass in einem solchen Fall die Röntgenstrahlung erst plötzlich erlischt und wenig später wieder aufflammt. Dies geschieht, weil die Gravitation des einen Schwarzen Lochs den Fluss der einfallenden Materie auf das andere Loch stoppt, zeitweise also die Brennstoffversorgung für den Röntgenausbruch unterbricht. Zwei Konfigurationen sind den Rechnungen zufolge möglich: In der ersten wird ein Schwarzes Loch von 10 Millionen Sonnenmassen von einem zweiten mit einer Million Sonnenmassen auf einer Ellipse umrundet.

So stellt sich ein Künstler ein Doppelsystem aus zwei Schwarzen Löchern vor
So stellt sich ein Künstler ein Doppelsystem aus zwei Schwarzen Löchern vor

Im zweiten denkbaren Fall sind beide Massen jeweils zehnmal kleiner und ihre Bahnen kreisförmig. In beide Fällen sind sich die Löcher nach kosmischen Maßstäben sehr nahe: Ihre Distanz entspricht dem Abstand der Sonde Voyager 1 zur Erde, rund 19 Milliarden Kilometer. Möglicherweise haben die Forscher bisher nur die Spitze eines Eisbergs gesehen. „Es könnte eine ganze Population von nicht aktiven Galaxien geben, die binäre Schwarze Löcher in ihren Zentren aufweisen”, sagt Co-Autorin Stefanie Komossa vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Der Nachweis wäre allerdings schwierig: Da keine Gaswolken zur regelmäßigen Fütterung der Schwarzen Löcher beitragen, bleiben die Kernbereiche dieser Galaxien in der Regel dunkel.

Suche geht weiter

Nach dem Aufspüren des ersten Kandidaten für ein binäres Schwarzes Loch in einer nicht-aktiven Galaxie ist die Suche nach weiteren Objekten in vollem Gange. Auch die systematischen Beobachtungen während der Schwenks von XMM Newton gehen weiter. Die Forscher hoffen, mehr darüber zu erfahren, wie sich Galaxien zu ihrer heutigen Größe und Gestalt entwickelt haben, denn zwei Schwarze Löcher im Zentrum einer Galaxie gelten als Beleg, dass diese einst aus der Verschmelzung zweier kleinerer Galaxien entstanden ist.

Quelle:

The Astrophysical Journal: "A milli-parsec supermassive black hole binary candidate in the galaxy SDSS J120136.02+300305.5", F.K. Liu, Shuo Li, und S. Komossa, 10. Mai (2014), Volume 786; doi:10.1088/0004-637X/786/2/103

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