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Rosetta-Flugdirektor Andrea Accomazzo
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„Wir haben Rosettas Segel aus dem Wind gedreht“

06/11/2014 1728 views 35 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Andrea Accomazzo ist Flight Director der Rosetta-Mission, er leitet das momentan 70-köpfige Expertenteam am ESOC-Zentrum in Darmstadt. Der Raumfahrt-Ingenieur hat uns erklärt, wieso das Steuern einer Kometensonde manchmal einem Segelschiff ähnelt.

Herr Accomazzo, Sie leiten am Darmstädter ESOC die Abteilung für Solar- und Planetar-Missionen. Für die Kometenmission Rosetta fungieren Sie als Flight Director, wenn es also um die Steuerung der Sonde vom Kontrollraum geht, haben Sie das letzte Wort. Rosetta hat sich in den vergangenen Wochen immer näher an den Zielkometen 67P/Churyumov-Gerasimenko herangepirscht, sie überflog dessen Oberfläche näher als Passagierflugzeuge über der Erdoberfläche unterwegs sind. Dabei wird die Raumsonde von Ihrem Team am ESOC-Zentrum in Darmstadt manövriert. Wie ist es, einem so bizarren Himmelskörper so nahe zu kommen?

Ja, 67P hat uns durch seine Gestalt überrascht. Die Aufnahmen von Rosettas Bordkameras zeigen, dass er sehr seltsam geformt ist. Sein Kern, der etwa vier Kilometer groß ist, hat keinerlei Ähnlichkeit mit einer Kugel, sondern besteht aus zwei unförmigen Teilen, die über eine Art Hals verbunden sind.

Wie ist es möglich, im unregelmäßigen Schwerefeld eines solchen Körpers zu manövrieren?

Freude beim ersten Signalempfang im Januar 2014 nach Rosettas "Winterschlaf"
Freude beim ersten Signalempfang im Januar 2014 nach Rosettas "Winterschlaf"

Wir haben uns schrittweise dem Kometenkern angenähert - und dabei hatten wir Zeit, ihn kennenzulernen. Als wir am 6. August rund 100 Kilometer entfernt am Kometenkern eintrafen, waren wir noch zu weit weg, um von dessen schwachen Schwerefeld  eingefangen zu werden. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch zu wenig über dessen Schwerkraft.

Wir haben deshalb einen sogenannten hyperbolischen Orbit um den Kern eingeschlagen. Auf diesem Orbit konnten wir bereits erste Messungen der Schwerkraft des Kometen durchführen - die Basis zur Planung der späteren Umlaufbahnen. Dass erforderte aber immer wieder Bahnkorrekturen, ansonsten hätten wir uns wieder vom Kern entfernt. Im Laufe der Zeit haben wir uns dann weiter angenähert. Schließlich, am 10. September,  waren wir nur noch 30 Kilometer entfernt. Das war nahe genug für einen gebundenen Orbit, also eine echte Umlaufbahn.

Doch auch das reichte uns nicht, wir wollten noch näher ran, das war für die Auswahl des Landeplatzes wichtig. Schrittweise haben wir die Bahn also weiter abgesenkt - ab dem 15. Oktober umkreisten wir das Zentrum des Kometenkerns in 10 Kilometern Abstand, das war also nur noch 7,5 bis 8 Kilometer von seiner Oberfläche entfernt. Jetzt spürten wir auch die seltsame Gestalt des Kometen. Einerseits spielte dessen unregelmäßiges Schwerefeld nun eine größere Rolle, anderseits hatten wir inzwischen aber auch viel über 67P gelernt - das half uns beim Manövrieren. So nah wie in dieser Phase werden wir dem Kometen wahrscheinlich nicht nochmal kommen, eine gute Gelegenheit, um sein Gravitationsfeld zu vermessen. Das erfordert aber immer wieder Bahnkorrekturen, um die Umlaufbahn zu halten. Wir nutzten dafür jede mögliche Gelegenheit.

Kometen, die sich auf dem Weg zur Sonne erwärmen, spucken Staub und Gase ins Weltall. Wie beeinflusst dieser Gegenwind die Bewegung der Sonde?

Die Raumsonde Rosetta, die Landeeinheit Philae und der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko
Die Raumsonde Rosetta, die Landeeinheit Philae und der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko

Stimmt, das trifft auch auf 67P zu. Während der Annäherung stellten wir fest, dass Gas vom Kometen ausgeht, es übt beständig eine aerodynamische Kraft auf Rosetta aus. Auch wenn diese nur ein Prozent der Anziehung des Kometenkerns ausmacht, so kann man diese Kraft keinesfalls ignorieren. Denn ein Fehler dieser Größe summiert sich mit der Zeit auf. Würde man das unberücksichtigt lassen, wäre die räumliche Position zwischen Sonde und Komet schon bald nur noch sehr ungenau bekannt.

Was haben Sie dagegen unternommen?

Wir haben es gemacht wie beim Segeln: Rosetta wurde von uns in eine spezielle Bahnebene gelenkt, wo sie ihre großen Solarzellenflächen so ausrichten kann, dass lediglich deren Kante vom Gas des Kometen getroffen wird. Damit haben wir die Solarzellen, die wie Segel wirken, sozusagen aus dem Wind gedreht. Trotz der engeren Orbits konnten wir so die Bahnstörung, die von der kometaren Aktivität ausgeht, deutlich reduzieren. Wir lernen also immer besser am Kometen zu manövrieren, und zwar während wir dies vor Ort bereits tun!

Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews (Veröffentlichung folgt), wie der Rosetta-Orbiter die Landung der Philae-Sonde einleiten wird und die Bordkameras den Abschied der beiden Raumsonden dokumentieren.

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