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Frank Budnik von der Flugdynamik am ESOC
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„Zwischen den Jupitermonden wird es richtig Spaß machen“

17/11/2015 1374 views 21 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Frank Budnik ist Physiker und leitender „Flugdynamiker“ am ESOC. Von Darmstadt aus steuert er mit seinen Kollegen die Raumsonden der ESA. Auf der Münchener Fachtagung ISSFD („International Symposium on Space Flight Dynamics“) hat er uns kürzlich erklärt, wie man einen Zusammenstoß mit der Internationalen Raumstation ISS vermeidet, wieso die Venus-Express-Sonde den kommenden Marssonden geholfen hat und wo die künftigen Herausforderungen bei der Steuerung der Sonden und Satelliten liegen.

 

Herr Budnik, Rosetta erforscht seit rund 16 Monaten auf wechselnden Umlaufbahnen den „Tschuri“-Kometen. Im vergangenen Dezember hatte die Venus-Express-Sonde einen feurigen Eintritt in die Gashülle unseres Schwesterplaneten – planmäßig zum Missionsende. Darüber hinaus sind die nächste europäische Landung auf dem Mars und die große Mission ins Jupiter-System in Vorbereitung. Hinzu kommen Astronomie-Missionen wie beispielsweise Gaia und Technologie-Experimente wie LISA Pathfinder. All diese Sonden werden aus Darmstadt gesteuert, unter anderem von der Gruppe für „Deep Space Orbit Determination“, der Sie vorstehen. Haben Sie überhaupt Zeit, hier in München Ihren internationalen Kollegen zu erzählen, wie die ESOC-Flugdynamiker ihre Raumfahrtzeuge steuern?

Tatsächlich konnte ich am letzten ISSFD-Meeting im Jahr 2014, das war in Laurel in Maryland (USA), nicht teilnehmen. Damals forderte Rosetta unsere volle Aufmerksamkeit. Das hat sich nun etwas gelegt. Aber dafür haben wir jetzt gerade einiges über die Steuerung dieser Mission zu berichten. Es ist ungewöhnlich, dass eine Doppelsession auf dieser Konferenz einem einzelnen Spacecraft gewidmet ist. Bei Rosetta ist das der Fall, sieben von neun Beiträgen sind dabei aus Darmstadt. Hinzu kommt, dass Rosetta eine sehr komplexe Mission ist, mit einer verwickelten Anreise, einer ebenfalls komplexen Annäherungsphase an den Kometen, den verschiedenen Orbits und nicht zuletzt das nie zuvor versuchte Landemanöver Philaes auf dem Kometenkern. All diese verschiedenen Missionsphasen mussten flugdynamisch vorbereitet werden.

Was verstehen Sie darunter?

Bei der Flugdynamik geht es darum, den Orbit eines Raumfahrtzeugs korrekt zu bestimmen und dessen künftige Entwicklung vorherzusagen. Hinzu kommt die Kontrolle der räumlichen Lage des Raumschiffs im All. Für die Missionen der ESA findet all das bei uns in der Flugdynamik am ESOC in Darmstadt statt. Dazu gibt es zwei Abteilungen, die eine ist für Satelliten zur Erdbeobachtung zuständig. Die andere Abteilung, in der ich arbeite, kümmert sich um die „Deep-Space-Missionen“. Dazu gehören auch die Sonden, die von den sogenannten Lagrange-Punkten des Erde-Sonne-Systems L2 und L1 aus operieren, also Astronomie-Satelliten wie Herschel und Planck und aktuell Gaia. Für Anfang Dezember steht der Start von LISA Pathfinder an, diese Mission soll Technologien testen, die für ein später geplantes weltraumgestütztes Gravitationswellen-Observatorium wichtig sind.

Die LISA-Pathfiner-Sonde besteht aus Wissenschafts- und Antriebsmodul
Die LISA-Pathfiner-Sonde besteht aus Wissenschafts- und Antriebsmodul

Die LISA-Pathfinder-Sonde soll mit der verhältnismäßig kleinen Vega-Rakete vom Startplatz in Kourou zum abgelegenen L1-Punkt geschossen werden. Dieser ist immerhin 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, also rund viermal weiter als der Abstand Erde-Mond.

 

Das ist richtig. Aber mit der Vega allein schafft es die Pathfinder-Sonde nicht bis dahin. Deshalb hat sie neben ihrer Nutzlast im Science-Modul ein zusätzliches Antriebsmodul. Der Start erfolgt zunächst in eine elliptische Transferbahn, deren erdfernster Punkt danach mit dem Antriebsmodul in mehreren Schritten angehoben wird.

Kann LISA Pathfinder anderen Raumschiffen in die Quere kommen?

Naja, anfangs kreuzt der Orbit den der Internationalen Raumstation ISS, dann wird die Umlaufbahn mehrmals angehoben. Danach ist sie oberhalb der ISS. Beide Orbits haben zwar sehr unterschiedliche Neigungswinkel gegen die Ebene des Erdäquators, deshalb sind nur die Schnittpunkte zwischen den Bahnebenen kritisch. Aber da muss man schon aufpassen, dass man sich nicht zu nahe kommt. Ziel ist, dass LISA Pathfinder in eine Bahn um L1 einschwenkt. Kurz vor dem Erreichen der endgültigen Bahn wird das Antriebsmodul vom Science-Modul abgekoppelt – auch das muss bei der Bahnberechnung berücksichtigt werden. Nach der Abtrennung sind nur noch sehr begrenzte Bahnänderungen möglich. Das Erreichen von L1 mit der Vega-Rakete und einem zusätzlichen Antriebsmodul ist für uns ein Novum.

Mehr Schlagzeilen dürften die Missionen zu den Planeten machen. Was hat Venus Express mit der kommenden Mars-Mission zu tun?

 

Mit ExoMars wollen wir im kommenden März einen Mars-Orbiter samt eines stationären Landegerätes starten. Dieser „Trace Gas Orbiter“ (TGO) wird aus der Umlaufbahn unter anderem die geheimnisvollen Methangasspuren in der Marsluft vermessen, diese könnten biologischen Ursprungs sein. Um dafür den passenden Orbit zu erreichen, planen wir etwa ein Jahr lang sogenannte Aerobraking-Manöver. So etwas haben wir im Sommer 2014 zum Missionsende der Venus-Express-Sonde ausprobiert. Dort konnten wir durch die Reibung mit der Atmosphäre schrittweise die Umlaufbahn der Sonde verändern.

Der Trace Gas Orbiter wird die Spurengase in der Mars-Luft messen
Der Trace Gas Orbiter wird die Spurengase in der Mars-Luft messen

Mars und Venus haben doch sehr unterschiedliche Atmosphären. Sind die Erfahrungen übertragbar?

Am Boden sind sie tatsächlich völlig unterschiedlich, das spielt hier jedoch eine untergeordnete Rolle. Für die Manöver brauchen wir die Hochatmosphäre. Sie haben allerdings recht, die Venusatmosphäre gilt als ruhiger als diejenige des Mars. Das Wetter dort beeinflusst beispielsweise den Staubgehalt der Atmosphäre, auch die Eigenschaften der hohen Atmosphäreschichten sind variabler. Das werden wir bei den Aerobraking-Manövern genau im Auge behalten müssen.

Es geht bei der 2016er ExoMars-Mission ja nicht nur um den Orbiter...

 

Nein, es ist auch eine Art Generalprobe für die Landetechnik des für 2018 geplanten ExoMars-Rovers. Die Timeline der 2016er-Mission wird insbesondere kurz vor der Landung sehr eng. Der Flugverband aus Trace Gas Orbiter und Lander muss auf Kollisionskurs mit dem Mars gebracht werden, dann erfolgt die Abtrennung. Danach muss der Orbiter durch ein Retargeting-Manöver seinen Kollisionskurs wieder verlassen. Am Mars wird der TGO dann durch ein Bremsmanöver in eine vorläufige, elliptische Umlaufbahn eingeschossen. Und das alles innerhalb weniger Tage. Die erwähnte Aerobraking-Phase kommt erst ein paar Wochen später nach einer kurzen Verschnaufpause.

Was ist am Jupiter geplant?

 

Wir wollen seine Trabanten erforschen, insbesondere Ganymed, den größten Mond des Sonnensystems, aber auch die Monde Europa und Kallisto. Die Juice-Sonde wird 2022 dorthin aufbrechen. Ähnlich wie Rosetta wird sie eine Navigationskamera haben, um eine genaue relative Navigation zwischen Sonde und Monden zu ermöglichen. Dies ist notwendig, da die Ephemeriden - also die Umlaufbahnen - der Galileischen Monde des Jupiter nicht hinreichend gut bekannt sind. Dort die Sonde zu navigieren wird richtig Spaß machen.

Link zur Münchener ISSFD-Konferenz: http://issfd.org/2015/

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