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Neuer Weltrekord
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Raumfahrttechnologie bei den Paralympics

21/09/2004 989 views 0 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Bei den Paralympics 2004 in dieser Woche wird Wojtek Czyz, der Weltrekordhalter im Weitsprung, auf die Hilfe von Technologie und Know-how aus der Raumfahrt vertrauen, um seine erste olympische Medaille zu gewinnen. Teile der Prothese, die er im Wettkampf benutzen wird, werden aus einem für die Raumfahrt entwickelten Material bestehen, so dass die Prothese stabiler und gleichzeitig leichter ist.

Czyz verlor bei einem Sportunfall vor drei Jahren einen Teil seines linken Beins. Das bedeutete, dass er, um seiner Leidenschaft für „alles, was mit Sport zu tun hat“ weiterhin nachgehen zu können, eine Prothese benutzen musste.

„Ich hatte ein großes Problem mit meiner alten Prothese, weil der Verbindungswinkel zwischen dem Knie und der Unterschenkelfeder beim Weitsprung oft kaputtgegangen ist“, erklärt er. Dies war nicht nur ein praktisches Problem, sondern, was noch wichtiger ist, schaffte eine psychologische Barriere. „Wenn ich trainierte, machte ich mir immer Sorgen, dass mein künstliches Bein nicht halten würde, und ich wusste nie, wie weit ich mich und die Prothese beim Sprung belasten konnte.“

Hilfe durch Materialien aus der Raumfahrt

Weitsprung mit Raumfahrttechnologie
Weitsprung mit Raumfahrttechnologie

Die meisten behinderten Menschen sind auf „Standard“-Prothesen für den alltäglichen Gebrauch angewiesen, und der Markt für Spezialanfertigungen für sportliche Aktivitäten ist sehr beschränkt. Die von Athleten verwendeten Standardprothesen könnten besser unter dem Aspekt der Gewichtsreduzierung optimiert und für die in sportlichen Wettkämpfen auftretenden Belastungen ausgelegt werden.

Das Technology Transfer and Promotion Office der ESA wurde, zusammen mit MST Aerospace, dem deutschen Technologietransfer-Makler, der das Technologietransfer-Netzwerk der ESA verwaltet, durch Berichte im deutschen Fernsehen und in der Presse auf das Problem des Athleten aufmerksam. Nachdem sie sich bei Czyz nach seinen wichtigsten technologischen Anforderungen erkundigt hatten, vereinbarten ESA und MST, sich des Problems anzunehmen.

Raumfahrttechnologie kann Menschen mit Behinderungen helfen
Raumfahrttechnologie kann Menschen mit Behinderungen helfen

„Das Ziel“, so Pierre Brisson, Leiter des Technology Transfer and Promotion Office der ESA, „bestand darin, Lösungen auf der Basis von Raumfahrttechnologien zu finden, die behinderten Menschen helfen, an sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen und auch eine bessere Lebensqualität zu genießen.“

Gemeinsam mit Wojtek Czyz wurden drei Bereiche ermittelt, die einer Verbesserung bedurften: das künstliche Glied selbst, die Anpassung und die Trainingsbedingungen.

Durch biomedizinische Verfahren wurde bestimmt, welche Teile der Prothesen für das Laufen und Springen verbessert werden konnten, und es stellte sich heraus, dass das Hauptproblem im Kniegelenk-Element lag, und zwar bei der L-förmigen Klammer zwischen dem künstlichen Knie und der Karbonfeder, die den Unterschenkel ersetzt.

Wojtek Czyz
Wojtek Czyz

Im Namen der ESA nahm MST Kontakt mit ISATEC auf, einer deutschen Firma mit Erfahrung im Einsatz von Hochleistungsmaterialien in Raumfahrtprojekten, z. B. hochfesten Aluminiumlegierungen, Titan und kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (CFK). Diese Firma entwickelt und analysiert Strukturen in CFK, die für Raketenmotoren und für das Alpha-Magnet-Spektrometer-Experiment (AMS) auf der Internationalen Raumstation ISS verwendet werden. AMS ist ein Detektor, der für extraterrestrische Untersuchungen von Antimaterie, Materie und fehlender Materie entwickelt wurde. Mit denselben Methoden und demselben Know-how analysierte und optimierte ISATEC die L-förmige Klammer, um das künstliche Glied für Einsätze in sportlichen Wettkämpfen zu verbessern.

„Eine detaillierte Analyse legte verschiedene Lösungen für verschiedene Sportarten nahe, jeweils für eine spezifische Verwendung optimiert“, erklärt Johannes Schmidt, Projektmanager bei MST. „Für den Sprint wurde eine Klammer entwickelt, die aus einer hochfesten Aluminiumlegierung gefertigt wird, dem Material, das die ESA in ihrem AMS-Experiment verwendet.“

Czyz mit seiner verbesserten Weitsprungprothese
Czyz mit seiner verbesserten Weitsprungprothese

„Für den Weitsprung ist die Lage anders. Dafür wurde eine Schichtkörperklammer aus Kohlenstofffaser- und Stoffschichten hergestellt“, erklärt Johannes Schmidt weiter. „Nach dem Feedback des Athleten wurde die erste Ausführung abgewandelt und eine weichere zweite Ausführung angefertigt.“

Die schichtweise Kräfteermittlung, die an mehr als 40 unidirektionalen Schichten und Stoffschichten durchgeführt wurde, war besonders wichtig, da sie gewährleistete, dass das für die Klammer ausgewählte Material stabil genug war, um der zusätzlichen Belastung beim Weitsprung standzuhalten. Die neue, steifere und widerstandsfähigere L-förmige Klammer ist sowohl leichter als auch stabiler und gibt Athleten beim Trainieren größere Sicherheit.

„Nur die langjährige Arbeit in der Verwendung und Optimierung dieser speziellen Materialien für die Raumfahrt machte es möglich, die Hochleistungsklammern für Czyzs Prothese herzustellen“, sagt Schmidt.

Training

Beim Training
Beim Training

Czyz teilte MST außerdem mit, dass er immer Probleme mit der Anpassung der Prothese an sein Bein hatte. „Je nach meinem allgemeinen Gesundheitszustand kann sich mein Stumpf ausdehnen oder verengen. Das macht es schwierig, die Prothese sicher zu befestigen. Manchmal ist sie beim Training sogar schon abgefallen.“

Nach Gesprächen mit dem Europäischen Astronautenzentrum (EAC) und dem Europäischen Netzwerk für Gesundheitsschutz, das von der ESA gegründet wurde, um aus der Raumforschung und -entwicklung abgeleitete Lösungen für Gesundheitsschutz und Wohlbefinden zu entwickeln, zu fördern und zu kommerzialisieren, schlug Filippo Ongaro, der Manager des Netzwerks für Gesundheitsschutz der ESA, vor, den perkutanen elektrischen Muskelstimulator (PEMS) einzusetzen, um weitere Muskelatrophie zu verhindern und die Muskelmasse zu erhöhen.

Czyz mit PEMS II
Czyz mit PEMS II

Der PEMS wurde von der Schweizer Firma Syderal entwickelt und hergestellt, um den Auswirkungen der Mikrogravitation auf Astronauten vorzubeugen, besonders der Muskelatrophie und Begleiterscheinungen wie Knochenmineralisierung und kardiovaskuläre Dekonditionierung. 1996 flog PEMS I im Space Shuttle mit, und PEMS II soll im nächsten Mai zur ISS geliefert werden.

Im Juni dieses Jahres stellte der ESA-Direktor für die bemannte Raumfahrt das Trainingsgerät PEMS II zur Verfügung, und es wurde an der Deutschen Sporthochschule in Köln (DSHS) installiert, um Czyz zu helfen, seine Muskelmasse zu erhöhen und die Atrophie in dem Bein zu verringern. Das Training wurde von Professor Narici von der University of Manchester geleitet, der bereits intensive Forschungsarbeit mit PEMS I und II betrieben hat, sowie von Dr. Zange vom Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), mit Unterstützung von Dr. Scheider und Dr. Abel vom Institut für Motorik und Bewegungstechnik an der DSHS sowie Professor Maffulli von der3333 Keele University School of Medicine. Das DLR stellte außerdem Testeinrichtungen in Köln-Porz zur Verfügung.

„Ich konnte 10 Wochen lang mit dem PEMS trainieren. Dadurch hat sich die Muskelmasse meines Beins erhöht, so dass ich mit dem Anpassen meiner Prothese keine Probleme mehr habe. Auch wenn ich mich nicht wohlfühle, bleibt die Muskelmasse meines Beins gleich“, sagt Czyz.

Vorbereitung auf die Sprints über 100 m und 200 m
Vorbereitung auf die Sprints über 100 m und 200 m

Zu Trainingszwecken verwendete der Athlet einen Trainingsanzug, der von der italienischen Firma Grado Zero Espace entwickelt wurde, mit einer Speichermembran auf der Basis eines Polymers, das in Raumfahrtanwendungen als Schaum für zusammenklappbare Räder an Planetenerkundungsfahrzeugen sowie für entfaltbare Weltraumstrukturen verwendet wird.

Czyz hofft auch auf Medaillen in den Sprints über 100 m und 200 m, seine Lieblingsdisziplin ist jedoch der Weitsprung. „Die Teilnahme an den olympischen Spielen wird nervenaufreibend sein, denn es ist nicht dasselbe wie der Weitsprung zuhause. 2003 habe ich den Weltrekord mit einem Sprung auf 5,85 Meter gebrochen, und mit den neu entwickelten Teilen in der Prothese springe ich jetzt noch 20 cm weiter. Hoffentlich kann ich in Athen einen neuen olympischen Rekord aufstellen, indem ich die 6 Meter übertreffe.“

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