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Jan Wörner: Moon Village - Menschen und Roboter gemeinsam auf dem Mond

01/03/2016 13332 views 81 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Jan Wörner, Generaldirektor der ESA, über die weitere Erkundung des Weltraums, seine Vision eines Moon Village und 3D-Drucker in der Raumfahrt.

Herr Wörner, was kommt nach der Internationalen Raumstation ISS?

Die Raumfahrt braucht eine neue Vision für die Zukunft. Momentan haben wir die Internationale Raumstation als gemeinsames Projekt, aber die ISS wird es nicht für immer geben. Aufbauend auf den Erfahrungen mit der Weltraumstation, den guten sowie den nicht so guten, sollten wir nach einem internationalen Projekt als Nachfolger Ausschau halten. 

Sie haben ein Projekt namens Moon Village in die Diskussion gebracht, worum geht es dabei konkret?

Wenn Ich von „Moon Village“ spreche, stelle ich mir keine Wohnhäuser, Kirchen oder eine Stadthalle vor. Darum geht es natürlich nicht. Meine Idee bezieht sich auf den eigentlichen Kern des Konzepts eines Dorfs: Menschen leben und arbeiten zusammen an ein und dem selben Ort. Der Ort ist in diesem Fall der Mond. Im Moon Village wollen wir die Fähigkeiten verschiedener Weltraumnationen zusammenführen – sei es in Form von Robotik oder Astronauten. Die Teilnehmer an dieser permanenten Mondbasis können in ganz unterschiedlichen Feldern aktiv sein: Wissenschaft und Grundlagenforschung, kommerzielle Aktivitäten wie die Gewinnung von Rohstoffen, oder sogar Tourismus.

Jan Wörner
Jan Wörner

Kritiker meinen, der Mond sei doch schon ausgiebig durch die Apollo-Missionen untersucht worden und fragen nach dem Sinn neuer Missionen. Wie lautet Ihre Antwort?

Kein Mensch hat je die Rückseite des Mondes besucht. Astronomen wollen dort ein Radioteleskop bauen, da die Störung durch irdische Radiowellen an diesem Ort besonders gering ist, einfach weil die Mondrückseite im Funkschatten liegt. Mit den Rohstoffen, die man zum Teil vor Ort findet und mit innovativen Techniken wie 3D-Druck könnte ein solches Teleskop errichtet werden – eine Chance, um noch weiter ins Universum zu schauen. Es ist längst nicht so, dass der Mond komplett erforscht wäre: Niemand ist je in seine Polargebiete vorgedrungen, dort haben unbemannte Sonden vor einigen Jahren Wassereis im Boden entdeckt. Wasser ist für die Raumfahrt eine wichtige Ressource, man kann daraus Treibstoff für Raketen und Sauerstoff für Astronauten herstellen. Sowohl die Mondrückseite als auch die Pole sind wissenschaftlich hochinteressant, das Moon Village könnte also als eine Art Boxenstopp bei der weiteren Erkundung des Universums fungieren.

Wieso ist „Space Exploration“, wie es im Englischen heißt, so wichtig für unsere Zukunft? Warum sollten wir uns weiter ins Weltall vorwagen?

Ins Unbekannte vorzustoßen ist fest in den menschlichen Genen verankert, Neugier und Wissensdrang waren immer ein starker Antrieb. Insbesondere wir Europäer haben die Erkundung weißer Flecken auf der Landkarte quasi von unseren Vorfahren geerbt. Ganz praktisch gesehen ist es so, dass sowohl Wissenschaft als auch Technologie von Weltraumprojekten enorm profitiert. Auch längerfristig: Die Herausforderungen und Ziele, mit denen wir junge Leute inspirieren können, sich für Berufsfelder wie Ingenieur- oder Naturwissenschaften oder Mathematik zu engagieren, liegen im Weltall. Die vermeintlich trockenen Jobs in diesen Feldern sind nämlich ziemlich cool! Ein weiterer wichtiger Beweggrund ist natürlich die internationale Kooperation. Wie das geht, haben wir durch die ISS gelernt. Auf dem Mond – im Moon Village – könnten wir all das fortführen. Zusätzlich können wir von dort aus Maßnahmen unterstützen, welche die Erde vor dem Einschlag von Asteroiden oder Kometen schützen, also dem, was Experten „Planetary Defence“ nennen.

Woher stammt die Idee des Moon Village?

Das war im April 2015 auf dem Weltraum-Symposium in Colerado Springs, USA. Wir debattierten dort über zukünftige Explorationsprojekte. Ich sagte damals: Wir brauchen eine Liste von Anforderungen, die künftige Raumfahrtaktivitäten erfüllen müssen. Gesagt, getan, allerdings war die Liste lang: Astronautische und robotische Missionen, Grundlagenwissenschaft, medizinische Forschung, Technologie, Mikrogravitationsforschung und so weiter. Wie gesagt, eine lange Liste. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich: Nicht eines, sondern mindestens zwei große Projekte könnten all diese Themen abdecken: Wir brauchen erstens für die Mikrogravitationsforschung den Zugang zur niedrigen Erdumlaufbahn. Solche Experimente müssen dorthin gebracht und wieder zurück geholt werden, und zwar schneller als wir es heute mit der ISS können. Und zweitens sind die vielen anderen Themen bestens mit einem Projekt wie dem Moon Village abgedeckt.

Die NASA scheint sich eher den Mars vorgenommen zu haben. Welches Feedback bekommen Sie aus den USA, wenn Sie die Rückkehr zum Mond vorschlagen? 

Auch ESA will zum Roten Planeten! Wir sind seit mehr als einem Jahrzehnt mit unserem sehr erfolgreichen Mars-Express-Satelliten in der Umlaufbahn. Mit unserer ExoMars-Mission werden wir jetzt neben einem neuen Orbiter auch einen Lander und später einen Rover zur Marsoberfläche schicken. Es stimmt, die Amerikaner wollen eines Tages mit Astronauten zum Mars fliegen, doch die heutige Raumfahrttechnik ist einfach noch nicht so weit. Wir müssen beispielsweise immer noch Mittel und Wege gegen die kosmische Strahlung finden, die die Gesundheit von Astronautinnen und Astronauten auf langen Weltraumreisen bedrohen. Und längere Aufenthalte jenseits der niedrigen Erdumlaufbahn müssen vor einem bemannten Marsflug erst noch erprobt werden. Dabei kann der Mond uns helfen – als Sprungbrett für den Flug zum Mars. Kürzlich telefonierte ich mit NASA-Administrator Charlie Bolden. Er unterstützte ausdrücklich die Idee des Moon Village, seine Worte waren: Jan, wir gehen zusammen zum Mond! Die NASA denkt über Raumstationen im Mond-nahen Weltraum nach. Das Moon Village ist flexibel, es kann unterschiedliche Aktivitäten zu einem gemeinsamen Projekt vereinen.

Könnte das Moon Village auch ganz ohne Astronauten auskommen, also rein robotisch?  

Ich kann mir Astronauten dort vorstellen, Roboter oder automatische unbemannte Rover. Oder auch Rover, die von bemannten Stationen im Mondorbit aus gesteuert werden. Im Prinzip könnte das Moon Village auch ausschließlich von Robotern bevölkert sein. Dem steht allerdings die Idee entgegen, dass wir die ganze Vielfalt der unterschiedlichen Raumfahrtnationen dort zusammen bringen wollen. Deshalb bin ich ziemlich sicher, dass einige Nationen Astronauten, Kosmonauten oder Taikonauten dorthin schicken werden.

In puncto Raumfahrtkooperation mit China gibt es Vorbehalte auf Seiten der USA. Schließt das nicht China als Projektpartner von vornherein aus?

Es stimmt, dass der US-Kongress heute keine Kooperation mit China auf der Internationalen Raumstation möchte. Aber bei einem Projekt wie dem Moon Village wäre die Situation anders. Die Raumfahrt hat schon früher erfolgreich Brücken gebaut. Ich denke, solche irdischen Probleme sind lösbar und am Ende werden wir sie überwinden.

Herr Wörner, herzlichen dank für das Interview.