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Solar Orbiter flies by Venus
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Die Natur sorgt stets für einen Ausgleich

09/08/2021 647 views 8 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Treibstoff ist auf der Erde eine begrenzte und kostbare Ressource. Im Weltraum ist er noch viel wertvoller. Um Treibstoff im Weltraum zu sparen, gehen wir daher einen Energiehandel mit den Planeten ein.

Arthur C. Clarke sagte schon 1987: „Die Natur sorgt stets für einen Ausgleich ihrer Bilanz“ und bezog sich damit auf die Tatsache, dass Energie im Universum erhalten bleibt: sie kann nicht aus dem Nichts auftauchen oder im Nichts verschwinden.

Fliegt man mit Raumschiffen durch das Sonnensystem, geht es dabei um cleveres Energiemanagement – je nachdem, wohin die Mission unterwegs ist, nutzt sie die Schwerkraft des Planeten, um zusätzlichen Schwung zu erhalten oder abzubremsen.

Diese Manöverart der Energieübertragung dient dazu, ohne Einsatz von Treibstoff und mithilfe der Anziehungskraft von Planeten oder anderen Gesteinskörpern die Geschwindigkeit oder auch die Bahn von Raumfahrzeugen zu ändern. Oft werden diese Manöver als „gravity assist“,“slingshot“, „planetary swingby“ der „Flyby“bezeichnet.

Ohne sie hätten wir in viele Ecken des Sonnensystems, die wir heute kennen, nicht reisen können.

Im Weltall kommt es auf die Orbitalenergie an

Im Weltraum ergeben die Bezeichnungen „Beschleunigen“ oder „Abbremsen“ nur mit Bezug auf ein anderes Objekt Sinn. Ein Zug kann sich z.B. mit 70 km/h in Bezug auf einen am Bahnhof stehenden Fahrgast bewegen, aber von der Sonne aus gesehen ist in der Bewegung des Zugs auch die Bewegung der Erde auf ihrer Umlaufbahn sowie ihre Rotation enthalten. Damit ist alles relativ.

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Solar Orbiter’s second Venus flyby
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Im Zusammenhang mit den Bewegungen von Planeten und Raumschiffen im Sonnensystem sprechen wir oft von ihrer „Orbitalenergie“ -  und damit von einem Wert, der direkt mit der Größe der Umlaufbahn eines Objekts zusammenhängt. Pluto am Rand des Sonnensystems bewegt sich auf einer viel größeren Umlaufbahn als z.B. Merkur, der Planet, der der Sonne am nächsten gelegen ist. Das bedeutet, dass die Orbitalenergie des Pluto viel größer ist als die des Merkurs.

Um mit einem Raumschiff zum Merkur zu gelangen, müssen wir daher die Umlaufbahn des Raumschiffes an die Umlaufbahn des Merkur anpassen. Beim Start von BepiColombo entsprach seine Orbitalenergie der unseres Heimatplaneten. Deshalb muss BepiColombo entweder eine riesige Menge an Treibstoff verbrauchen, um „auf die Bremse zu treten“ und damit die überschüssige Energie abzubauen, oder BepiColombo kann überschüssige Energie abgeben, indem er nah genug an Nachbarplaneten vorbei fliegt.

Das Gleiche gilt umgekehrt für die Reise zum äußeren Sonnensystem. Um auf eine größere, weiter von der Sonne entfernte Umlaufbahn zu gelangen, wie zum Beispiel die bevorstehende Juice-Mission der ESA zum Jupiter, muss ein Raumschiff der Erde, der Venus und dem Mars ein bisschen Orbitalenergie stehlen.

Alles ist abhängig vom Bezugssystem

Worin besteht der Unterschied, ob einem Planeten Energie entnommen oder an ihn abgegeben wird? Das ist abhängig von der relativen Bewegung des Raumschiffs und des Planeten.

Aus der Sicht eines Planeten, an dem ein Raumschiff vorbeifliegt, kommt das Raumschiff mit derselben Geschwindigkeit auf ihn zu, mit der es ihn auch wieder verlässt, nur seine Bahn wurde abgelenkt. (Im Grunde genommen hat das Raumschiff auch den Planeten abgelenkt, allerdings um einen so winzigen Betrag, dass es vernachlässigt werden kann. Nichtsdestotrotz bleibt das dritte Newtonsche Gesetz der Bewegung erhalten: „Zu jeder Aktion gibt es eine gleichwertige und entgegengesetzte Reaktion“.)

Es gilt jedoch auch zu bedenken, dass sich der Planet selbst um die Sonne bewegt.  Aus der Sicht der Sonne wird das Raumschiff durch den Planeten nicht nur auf seiner Bahn abgelenkt, sondern wird, je nach Geometrie des Vorbeifluges eine höhere oder niedriger Geschwindigkeit relativ zur Sonne haben.

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Wenn ein Raumschiff mit der Bewegung eines Planeten fliegt, nimmt es etwas der Orbitalenergie des Planeten auf
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Um die Geschwindigkeit im Vergleich zur Sonne zu erhöhen, fliegt das Raumschiff mit der Bewegungsrichtung des Planeten, nimmt dabei etwas Orbitalenergie des Planeten auf; um die Geschwindigkeit im Vergleich mit der Sonne zu verringern, fliegt das Raumschiff gegen die Bewegungsrichtung des Planeten und gibt dabei seine eigene Orbitalenergie an den Planeten ab.

In beiden Fällen kann die Energieänderung am Planeten vernachlässigt werden, sie macht aber für unser winziges Raumschiff einen riesigen Unterschied. Ein Raumschiff müsste Milliardenmal größer sein als jene, die wir heute nutzen, um einen Planeten messbar abzulenken!

Orbitalmechanik: Verschmelzung von Wissenschaft und Natur

Für eine Reise durch das Sonnensystem wird mehr als einfach nur eine Rakete, Triebwerke und Treibstoff benötigt. Unsere Teams aus Flugdynamikexperten und Flugkontrollteams im Satellitenkontrollzentrum der ESA müssen die Bewegungen der Planeten und die zu Grunde liegenden Naturgesetze verstehen, mit Ihnen arbeiten und sie bestmöglich für unsere Missionen nutzen.

Erfahren Sie mehr über den dopppelten „Gravity Assist“ der Venus am 9. und 10. August, wenn sowohl BepiColombo als auch Solar Orbiter den Planeten nutzten, um ihre Umlaufbahnen zu ändern und damit näher zu ihren Zielen zu gelangen.

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