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Loss of land ice is causing sea levels to rise
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Eine Raumsonde verfolgen, während das Wasser auf der Erde die Erddrehung beeinflusst

01/04/2021 325 views 8 likes
ESA / Space in Member States / Germany
  • Die Masse auf unserem Planeten wird ständig umverteilt, denn die Erdatmosphäre, die Ozeane und andere Wassersysteme auf und unterhalb der Oberfläche sind in Bewegung, verlagern sich oder führen zum Abschmelzen.
  • Diese Umverteilung der Masse bewirkt eine Veränderung des Schwerpunkts der Erde, wodurch sich die Drehung des Planeten beschleunigt oder verlangsamt - was nebenbei Einfluss auf die Länge des Tages hat - und außerdem die Ausrichtung der „Drehachse“ der Erde verändert.
  • Diese Änderungen der Erddrehung und -ausrichtung treten in relativ kurzen Zeiträumen von Tagen und Wochen auf und führen zu Beeinträchtigungen in der Kommunikation zwischen Bodenstationen und Raumsonden in ihren jeweiligen Bahnen - verteilt über das gesamten Sonnensystem.
  • Die ESA arbeitet an einem eigenen Algorithmus, um die Ausrichtung der Erde mit größter Genauigkeit vorhersagen zu können. Erste Tests zeigen, dass der neue ESA-Algorithmus die bisher verwendeten Algorithmen externer Anbieter übertrifft. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung eines unabhängigen europäischen Zugangs zum Weltraum.

Kräfte am Werk, die den Tag verändern

Blick auf den Erdmond aus der Raumfähre Discovery
Blick auf den Erdmond aus der Raumfähre Discovery

Externe Gravitationskräfte, vor allem von Sonne und Mond, wirken ständig und berechenbar auf unseren Planeten ein. Während die enorme Anziehungskraft der Sonne die Erde in ihrer Umlaufbahn hält, hat der sanfte Einfluss des Mondes über Milliarden von Jahren die Drehung der Erde ganz erheblich verlangsamt, und dazu geführt, dass die Länge eines Tages auf der Erde zunimmt.

Bei der Entstehung der Erde war ein Tag etwa zwischen sechs oder acht Stunden lang und ein Jahr bestand aus mehr als 1000 Sonnenauf- und -untergängen.
Doch man muss sich klar machen, dass hier Kräfte im Spiel sind, die sehr viel schnellere und unvorhersehbarere Auswirkungen haben. Erdbeben, atmosphärische Winde, Meeresströmungen und bemerkenswerterweise sogar die menschliche Aktivität selbst wirken oftmals und unvorhersehbar auf die Umverteilung der Masse auf dem Planeten ein und verändern die Geschwindigkeit der Erddrehung und die Ausrichtung der Drehachse

Erhaltung des Impulses

Die „Erhaltung des Drehimpulses“ ist ein physikalisches Gesetz, das erklärt, warum eine Eiskunstläuferin, die sich mit ausgestreckten Armen dreht, plötzlich schneller wird, wenn sie ihre Arme zum Körper hinzieht.

Auch die Erddrehung wird durch die Gewichtsverteilung auf dem Planeten beeinflusst. So beschleunigen Erdbeben bemerkenswerterweise die Drehung unseres Planeten in dem Moment, wenn sie die Materie in der Erdkruste und im oberen Erdmantel neu verteilen, wodurch die Länge des Tages in einem kleinen, aber nicht unbedeutenden Ausmaß zunimmt.

Eine Karte der Geländeverschiebungen durch die Erdbeben, die Japan ab dem 11. März 2011 heimsuchten.
Eine Karte der Geländeverschiebungen durch die Erdbeben, die Japan ab dem 11. März 2011 heimsuchten.

Im Jahr 2011 wurde Japan von einem Erdbeben der Stärke 9,0 erschüttert, das auf tragische Weise Tausende von Menschenleben forderte und unermessliche Schäden verursachte. Es dauerte nur sechs Minuten und verkürzte dabei die Länge des Tages um 1,8 Mikrosekunden (eine Mikrosekunde = ein Millionstel einer Sekunde). Es verschob die Position der „Figurenachse“ der Erde - eine imaginäre Linie, um die die Masse der Erde im Gleichgewicht ist - um etwa 17 cm. (Die Figurenachse ist die Achse des Massengleichgewichts der Erde, während die Rotationsachse um sie schwankt.).

Viel größere Auswirkungen sind auch durch atmosphärische Winde und Meeresströmungen sowie das Abschmelzen der Gletscher und der Eiskappen im Gange. Wenn das Eis schmilzt oder abbricht und in den Ozean stürzt, steigt der Meeresspiegel und die Masse der Erde wird so umverteilt, dass sie näher an diese zentrale Achse gelangt, wodurch sich die Länge des Tages verkürzt.

Solche Veränderungen sind kein Grund zur Beunruhigung, denn in unserem täglichen Leben ist ihr Einfluss nicht spürbar. Aber wenn es um den Flug von Raumfahrzeugen durch den Weltraum oder um die Synchronisation von Satelliten in der Umlaufbahn geht, können diese winzigen Änderungen einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg oder sogar Verlust einer Mission haben.

Betrieb von ESA-Missionen

Zur Durchführung ihrer Missionen ist die ESA auf die so genannten Erdorientierungsparameter (EOP) angewiesen, die die Unregelmäßigkeiten in der Rotation des Planeten aufzeigen. Wenn diese nicht bekannt sind, dann besteht ein echtes Problem.

„Unsere Bodenstationen stehen in Verbindung mit interplanetaren Sonden, die Millionen von Kilometern entfernt sind. Sie müssen mit extremer Genauigkeit ausgerichtet werden, um diese relativ winzigen Objekte zu erfassen", erklärt Werner Enderle, Leiter des Navigation Support Office am Europäischen Raumflugkontrollzentrums der ESA, dem ESOC in Darmstadt.

Was sehen wir uns an?
Was sehen wir uns an?

„Ein Grad auf der Erde entspricht Tausenden von Kilometern im Weltraum. Wenn man also keine genauen Werte für die Ausrichtung der Erde hat, kann man weit daneben liegen.“

Um diese Parameter zu erhalten, ist ein enormer Arbeitsaufwand erforderlich, damit die kumulativen Auswirkungen von Wetter, Klimawandel und geologischer Aktivität analysiert werden können.

Da diese Systeme so komplex sind, können wir derzeit die Änderungen der Erdausrichtung nur für relativ kurze Zeiträume, Wochen oder Monate, im Voraus berechnen.

ESA ermittelt die Ausrichtung der Erde

Derzeit werden diese entscheidenden Parameter vom United States Naval Observatory (UNSO) bereitgestellt, basierend auf Beiträgen von Institutionen aus aller Welt, einschließlich der ESA. Die ESA arbeitet jedoch daran, ihre eigenen EOP-Werte zu bestimmen, um einen unabhängigen Zugang zum Weltraum für Europa zu gewährleisten und die Abhängigkeit von externen Anbietern zu verringern.

Diese Ausrichtungswerte, die ein Team des Navigation Support Office berechnet, werden ab Herbst dieses Jahres frei verfügbar sein.

Das Tool schätzt und prognostiziert die Ausrichtung und Rotation der Erde bis zu 90 Tage im Voraus. Hierzu nutzt es unter anderem weltraumgestützte Messungen von Globalen Satellitennavigationssystemen (GNSS) und Laserentfernungsmessungen von Satelliten - ein Bereich, in dem das Navigation Support Office über große Expertise verfügt.

Das Satellitenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt
Das Satellitenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt

„Unser Algorithmus berücksichtigt atmosphärische und wetterbedingte Faktoren, seismische Aktivitäten, die Geschwindigkeit, mit der der Meeresspiegel steigt und das Eis der Erde schmilzt, sowie eine Vielzahl anderer Variablen, die alle auf komplexe und schwer vorhersehbare Weise zusammenwirken“, erklärt Erik Schoenemann, Navigations-Ingenieur am ESOC, der das Projekt leitet.

„Leicht sieht man diese Werte als selbstverständlich an, aber die gesamte Raumfahrt ist auf sie angewiesen, und es steckt eine Menge Arbeit darin, sie zu erhalten. Wir sind wirklich froh, dass wir jetzt unsere eigenen Datenquellen haben. Sie sichern unsere Fähigkeit, komplexe Missionen in verschiedenen Orbits durchzuführen, aus denen uns einzigartige Daten zurückgeschickt werden.“

Bisherige erste Tests zeigen, dass der neue ESA-Algorithmus die derzeit verwendeten Algorithmen deutlich übertrifft. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung eines unabhängigen Zugangs zum Weltraum für Europa.