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Ins Bett für die Raumfahrt: WISE-Probandin
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Erste Ergebnisse der ESA-Bedrest-Studie mit Frauen

24/11/2006 950 views 0 likes
ESA / Space in Member States / Germany

2005 haben sich 24 Frauen im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA für zwei Monate im Dienst der Weltraummedizin ins Bett gelegt. Anlässlich des 3. Kongresses „Muskeln und Knochen – Neue Welten“ im November in Berlin stellten Wissenschaftler des Zentrums für Muskel- und Knochenforschung (ZMK) ihre Ergebnisse des ESA-Liegemarathons vor.

Im vergangenen Jahr hat die ESA in Zusammenarbeit mit den Raumfahrtagenturen Frankreichs (CNES) und Kanadas (CSA) sowie der amerikanischen Weltraumbehörde NASA in einer ausgedehnten Bettruhestudie im südfranzösischen Toulouse die Auswirkungen von simulierter Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper untersucht. Die Besonderheit: An der Liegestudie nahmen zum ersten Mal ausschließlich Frauen teil.
Die unter dem Kürzel WISE – Internationale Weltraumexplorationssimulation mit Frauen – bekannt gewordenen Studie soll helfen, künftige Langzeitmissionen mit gemischten Besatzungen im erdnahen sowie interplanetaren Weltraum vorzubereiten.

An der Studie in Toulouse war auch das Team um den Osteoporoseforscher Dieter Felsenberg vom Zentrum für Muskel- und Knochenforschung (ZMK) der Charité Berlin beteiligt. Die Wissenschaftler beobachteten, wie sich Muskeln und Knochen der zu strikter Bettruhe vergatterten Liege-Astronautinnen veränderten.

Schwerelos im Klinikbett

Gise Beller vom ZMK präsentiert die Ergebnisse
Gise Beller vom ZMK präsentiert die Ergebnisse

Lange schon gehören Bettruhestudien zum Repertoire der Weltraummediziner. Denn wer sich wochenlang im Bett aufhält, zeigt physiologisch dieselben Reaktionen wie ein Astronaut auf einer Langzeitmission: Das Herz-Kreislauf-System ist von der Schwerkraft befreit, so dass sich Blutdruck und Puls verändern. Zudem schrumpfen Muskeln und Knochen und die Körperflüssigkeiten verteilen sich um.

Die 24 handverlesenen Teilnehmerinnen der WISE-Studie waren gesunde Nichtraucherinnen im Alter zwischen 25 und 40 Jahren. Sie mussten unter den gestrengen Fittichen von zwölf wissenschaftlichen Untersuchungsteams aus elf Ländern 60 Tage in der Horizontalen überstehen. Die Probandinnen aus acht europäischen Ländern wurden in drei Achtergruppen unterteilt: Eine Trainingsgruppe mit einem straffen Sportprogramm, eine Ernährungsgruppe mit Spezialdiät und eine Kontrollgruppe, die Vergleichswerte liefern sollte.
Die Trainingsgruppe arbeitete – selbstverständlich liegend – mit dem vom Bremer Raumfahrtunternehmen OHB System AG gebauten weltraumtauglichen Fitnessgerät Flywheel sowie mit einem Unterdruck-Laufbandsystem.

Muskeln und Knochen: Erste Ergebnisse

Schwitzen im Liegen: Training in der Unterdrucktretmühle
Schwitzen im Liegen: Training in der Unterdrucktretmühle

Die Forscher vom Berliner ZMK ermittelten die Veränderungen im Muskel- und Knochenapparat der 24 terrestrischen Astronautinnen mit zwei speziellen Computertomographie-Verfahren. Mit diesen Messverfahren lassen sich nicht nur die Dichte, sondern auch die Knochengeometrie und die innere Feinstruktur der Knochen bestimmen.
Um die Veränderungen sowohl qualitativ als auch quantitativ exakt bestimmen zu können, wurden Messungen vor, während und nach der 60tägigen Liegephase in regelmäßigen Abständen durchgeführt. Besonderes Augenmerk galt der „Readaption an die irdischen Verhältnisse“: Die Mediziner ermittelten die Werte unmittelbar nach Abschluss der Liegephase, dann nach drei, sechs sowie 12 Monaten und verglichen alles mit den Ausgangswerten vor Beginn der Studie.

Erwartungsgemäß nahm bei allen drei Probandengruppen – der Trainingsgruppe, der Ernährungsgruppe sowie der Kontrollgruppe – die Knochenmasse in der Liegephase signifikant ab. Nach der Hypothese der Forscher sollten die regelmäßig am Flywheel und in der Unterdruck-Tretmühle trainierenden Liege-Astronautinnen aber deutlich geringeren Knochenschwund aufweisen als die anderen Gruppen. Zur Überraschung der Wissenschaftler „zeigten sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen“, berichtete Gise Beller vom ZMK.

„Die Trainingsgruppe verlor also genauso an Knochenmasse und -dichte wie die Kontroll- sowie die Ernährungsgruppe. Das konnten wir durch das Training nicht verhindern.“ Dem Muskelschwund hingegen hat das Training effektiv entgegengewirkt. „Bei der Trainingsgruppe haben wir nach der Liegephase einen deutlich besseren Erhalt der Muskelquerschnittfläche als bei den anderen Gruppen gemessen“.

Hinsichtlich Knochenerhalt blieben also sowohl das Flywheel- und Laufbandtraining als auch die Aminosäurenangereicherte Spezialdiät in der WISE-Studie ohne statistisch aussagekräftigen Effekt. „Vielleicht erhält man bessere Ergebnisse, wenn man in künftigen Studien Training und Spezialdiät kombiniert“, schlug Beller vor.

Forschung geht weiter: Neue Bedrest-Studie in Berlin

Untersuchung der Muskeln im Magnetresonanztomographen
Untersuchung der Muskeln im Magnetresonanztomographen

„Planungen für künftige Forschungsreihen sind bereits im Gange“, so Didier Schmitt, Leiter der Gruppe für Lebenswissenschaften in der ESA-Direktion für bemannte Raumfahrt, Schwerelosigkeitsforschung und Exploration. „Wir bereiten ein Programm mit Bettruhestudien für die kommenden Jahre vor, das kurz-, mittel- und langfristige Studien für Liegephasen mit jeweils 5, 21 und 60 Tagen Dauer vorsieht.“

Die Berliner können sich freuen: Im Rahmen des ESA-Programms zur Förderung von Anwendungen der Mikrogravitation (MAP) ist eine weitere längere Bettruhestudie in der deutschen Hauptstadt vorgesehen, voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2007.

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