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Envisat, artist's impression
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ENVISAT, Europas Umweltsatellit

13/11/2001 2138 views 0 likes
ESA / Space in Member States / Austria

In Französisch-Guayana startet Anfang nächsten Jahres eine Ariane-5-Rakete mit dem grössten und komplexesten Erdbeobachtungs-Satelliten, der jemals in Europa gebaut worden ist. ENVISAT wird dann aus 800 Kilometern Höhe Bilder und Daten liefern, die helfen sollen, die Erde besser zu verstehen und wirkungsvoller zu schützen.

Experten des wissenschaftlichen und technischen Zentrums der europäischen Weltraumorganisation ESA im holländischen Noordwijk haben das gewaltige Erdbeobachtungsprojekt für knapp fünf Milliarden Euro konzipiert und den Satelliten mit den Ausmassen eines Sattelschleppers gebaut. Projektleiter Jacques Louet nennt den Satelliten, der mehr Messgeräte an Bord hat als je ein anderer, "eine grosse Herausforderung für die ESA und Europa".

Envisat - artist's impression
Envisat - artist's impression

1988 wurde das Projekt als "Polare Plattform" beschlossen; Anfang der 90er Jahre bekam der Umweltsatellit, der stündlich so viele Daten sammelt, wie auf die Festplatten von mehreren PCs passen, das Kürzel ENVISAT. Er kann den Zustand der Erde analysieren und komplexe Umweltabläufe von der Algenblüte bis zu Vorläufererscheinungen von Naturkatastrophen sichtbar machen. Eine russische Antonow und zwei Boeing 707-Frachter haben ENVISAT mit dem 14 mal 4,5 Meter grossen Sonnensegel, das 6,6 Kilowatt Strom liefert, zum Startplatz geflogen.

Das Weltraum-Labor wird seine Millionen Datenbits zu den ESA-Empfangsstationen im schwedischen Kiruna und zur weltweit größten zivilen Bodenstation im italienischen Fucino senden. Erstmals wird auch ein Datenaustausch per Laserstrahl an den 36.000 Kilometer über der Erde kreisenden Satelliten ARTEMIS getestet, der die Daten weiter zur Erde überträgt. Der Super-Satellit registriert winzigste Erdbewegungen und warnt vor Fluten, Schlammlawinen, Schneeabgängen und Stürmen; er überwacht das Eis der Polarzonen und das Niveau der Ozeane; er erkennt El Nino, der sich als tückischer Wellenrücken im Pazifischen Ozean aufbaut; er misst die Ozonschicht und macht das Ozonloch sichtbar; er sieht jedes Buschfeuer im Regenwald und ortet Wasseradern unter den Wüsten.

Michael Rast, Wissenschaftler in der Direktion für Erdbeobachtung der ESA, weiss nicht erst seit der Klima-Konferenz in Rio und dem Kyoto-Protokoll, dass Politiker auf dünnem Dateneis gehen, wenn sie über den Ausstoß der Treibhausgase verhandeln. ENVISAT hingegen liefert Fakten. Der Internationale Klimaausschuss IPCC (Intergovernmental Panel for Climate Change) hat festgestellt: "Die Menschheit versteht die Prozesse, die in unserer Umwelt ablaufen, nicht gut genug. Mehr Messungen und mehr Forschung seien nötig, doch dies könne nur mit guten Daten geschehen, unabhängig zusammengetragen und quantitativ untermauert".

The Kiruna S-band and X-band station
The Kiruna S-band and X-band station

Der Satellit wird via Kiruna vom Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt per Funksignal gesteuert und bei Bedarf korrigiert. Er umkreist im 100-Minuten Takt die Erde, 14mal pro Tag, kehrt im 35-Tage-Rhythmus auf dieselbe Umlaufbahn zurück und zeichnet nach drei Tagen eine komplette Weltkarte. "Wir wollen ", erklärt Rast, "den Überblick behalten und zum Beispiel sehen, wie die Wasserqualität im Ozean aussieht und wie die Treibhausgas- bzw. Temperaturverteilung in der Atmosphäre ist. Wie und wo die tropischen Wälder abgeholzt werden oder wo sie noch intakt sind."

Zehn Instrumente an Bord, mehr als in jedem anderen Satelliten, decken das gesamte Spektrum ab. Sie liefern Belege für die Interaktionen zwischen der Atmosphäre, den Ozeanen und den Landoberflächen.

Auf SCIAMACHY sind die Deutschen besonders stolz: Das Scanning Imaging Absorption Spectrometer for Atmospheric Cartography durchsucht die Atmosphäre nach Spurengasen, Ozon und ähnlichen Verbindungen sowie nach Wolken und Staubteilchen, bestimmt die Gesamtmenge der Gase und zeigt sie in den verschiedenen Höhenschichten. Damit sieht man förmlich die Folgen von Waldbränden, Industrieabgasen, arktischem Dunst, Staubstürmen und Vulkanausbrüchen. SCIAMACHY ist eine Zugabe der deutschen, niederländischen und belgischen Raumfahrtindustrie zum Programm, die nicht mit ESA-Geld finanziert wurde. Und einer der höchst entwickelten Sensoren auf der Plattform, mit der die weltweite Wanderung der Treibhausgase durch die Atmosphäre beobachtet und gemessen werden soll.

Europas Augen im All messen auch die Planktonströme in den Weltmeeren, um neben der Erkenntnis biologischer Produktivität unserer Ozeane auch Grundlagen für Fangquoten festzulegen. Michael Rast: "So können wir das Überfischen der Meere verhindern, weil wir die Fangschiffe lenken können." Mehr noch, es gibt auch giftige Algen, die sogenannte Red Tide, die schon ganze Öko-Systeme vernichtet haben. Rechtzeitig vom Satelliten erkannt, kann man am Boden ihre Ausbreitung eindämmen, um Fischbestände zu schützen".

Envisat in the cleanroom
Envisat in the cleanroom

ENVISAT soll noch mehr leisten. "Wenn wir beurteilen können, wie viel Kohlenstoff die photosynthetisch aktiven Algen im Wasser aufnehmen, haben wir eine bessere Möglichkeit, auszuloten, wie viel Treibhausgas die Umwelt tatsächlich verträgt".

ENVISAT erfasst auch die Ressourcen auf der Erde. Rast: "Wir werden geringste Bodenveränderungen auf der Erde im Zentimeterbereich aufspüren können, besser, als man es von der Erde aus kann." Warnungen vor Vulkanausbrüchen und Erdbeben rücken damit langsam in die Nähe der Realität. Daten von ENVISAT werden sicher in die Erforschung von Vulkanen und Erdbeben einfliessen. Rast schliesst nicht aus, "dass wir künftig Erdbeben-Schadensabschätzungen und eventuell auch Vorhersagen zumindest unterstützen werden".

Der promovierte Geologe in Noordwijk sieht den Satelliten als "Eckpfeiler in der europäischen Raumfahrt". Er hofft, "dass wir mit ENVISAT soviel Einsicht in unsere Umweltsituation und unsere Klimavorgänge bekommen, dass wir später mit kleineren Satelliten gezielt auf spezifische Probleme eingehen können, nachdem wir den Zusammenhang besser verstanden haben". Er räumt "ein grosses Risiko" ein, "soviel Know-how in einen einzigen Satelliten zu packen", indes: "Wenn wir umfassend verstehen wollen, müssen wir diesen Weg gehen."

Dieser Bericht ist Teil einer Serie von Artikeln über das ENVISAT-Programm und dessen Anwendungen.

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