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Eisberg C-19 löst sich vom Ross-Schelfeis
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Kampf der Giganten im ewigen Eis

24/10/2002 996 views 4 likes
ESA / Space in Member States / Austria

Envisat, der neue Umweltsatellit der Europäischen Weltraumagentur ESA, wurde Augenzeuge eines gewaltigen Naturschauspiels. Der Satellit beobachtete einen Rieseneisberg beim Versuch, sich den Weg nach Norden freizukämpfen. Der vom Ross-Eisschelf losgebrochene Koloss wurde in den Küstengewässern der Antarktis von einem älteren Eisriesen ähnlicher Größe aufgehalten. Envisat hat das monatelange Duell der eiskalten Art im Bild festgehalten.

Die Bilder der nebenstehenden Animation hat Envisat zwischen dem 3. Mai und dem 7. Oktober dieses Jahres mit seinem ASAR-Radarinstrument aufgezeichnet. Sie zeigen den Anfang Mai losgebrochenen Eisberg mit der Bezeichnung C-19 im Kampf mit dem älteren Koloss B-15a. Dieser ist in den flachen Gewässern vor den Ross-Inseln auf Grund gelaufen. Er liegt so fest, dass er selbst durch den Aufprall des neuen Eisriesen nicht losgekommen ist. Der ungefähr 200 m dicke Eisberg C-19 ist 200 km lang, 32 km breit und mit einer Oberfläche von 6400 km2 fast doppelt so groß wie Mallorca. Er konnte sich schließlich von seinem älteren Schicksalsgenossen losreißen und treibt nun ins offene Meer hinaus.

Scharfe Bilder aus dem All

Die hochauflösenden ASAR-Radarbilder belegen, dass C-19 nicht einfach durch das offene Wasser driftet, sondern durch Meereseis behindert wird. Wind und Meeresströmung sind jedoch so stark, dass C 19 seine Reise trotz dieser Behinderungen fortsetzen kann. Deutlich unterscheiden lassen sich auf den Radaraufnahmen sowohl die schwimmenden Eisflächen als auch das Festlandeis der Antarktis: Das Ross-Schelf erscheint eben wie eine Tischplatte, das Festlandeis links im Bild dagegen rauh und zerklüftet.

Wenn der Eisberg kalbt

Die Polarregion, in der Envisat das Ereignis beobachtete (rot markiert)
Die Polarregion, in der Envisat das Ereignis beobachtete (rot markiert)

Insgesamt umfasst die Vergletscherung Antarktikas eine Fläche von fast 14 Mio km2. Davon nehmen die Eisschelfe rund 1,4 Mio km2 ein. Die beiden größten sind das Ross-Eisschelf mit 530 000 km2 und das Filchner-Eisschelf mit ungefähr 400 000 km2, die in den tief eingreifenden Kerben zwischen Ost- und Westantarktika aufliegen.
Eisschelfe sind massive Eisplatten, die auf dem Meer schwimmen. Sie bestehen aus gefrorenem Süßwasser und können eine Mächtigkeit bis zu 1000 m erreichen. Gespeist werden sie durch die Eismassen, die sich aus dem Zentrum der Antarktis langsam in Richtung Meer vorarbeiten.
Wenn Eisberge vom Eisschelf losbrechen, kann das verschiedene Ursachen haben, wie Dr. David Vaughan vom British Arctic Service in Cambridge erläutert. „Eisberge können durch die Einwirkung von Wind und Wellen entstehen. Manchmal brechen auch riesige Eisflächen ab, wenn das Schelfeis zu groß geworden ist und unter dem eigenen Gewicht teilweise zusammenbricht.“ Die Eiskante am Rand des Schelfs wird daher instabil und gewaltige Eisberge brechen einfach heraus. Ein Vorgang, der „Kalben“ genannt wird. „Es kann aber auch vorkommen, dass ein älterer Eisberg in ein Schelf prallt und einen neuen Eisberg losschlägt“, so Vaughan.

Kreislauf im ewigen Eis

Der Eiskoloss C-19 am 18. Juli 2002
Der Eiskoloss C-19 am 18. Juli 2002

Die Geburt solcher Eisgiganten ist in der Antarktis jedes Jahr zu beobachten. Das Kalben von Eisbergen ist Teil des natürlichen Kreislaufs des Eisschildes. Während auf der Seeseite dadurch große Eismengen verloren gehen, bildet sich im Landesinneren durch Schneefälle neues Eis nach. Die Wissenschaft untersucht, ob das durch Niederschläge nachwachsende Eis die Masseverluste am Rande des Eisschildes ausgleicht. Jedes Ungleichgewicht in diesem Zyklus würde sich auf die Höhe des weltweiten Meeresspiegels auswirken. Dabei geht es um gewaltige Wassermassen: Würde der gesamte antarktische Eisschild abschmelzen, so stiege der Pegel der Ozeane um mehr als 50 m an. Schon vor seinem Abbrechen schwamm der Eisberg C-19 als Teil des Schelfeises im Meer. Dadurch kann der Eisriese – auch nach dem kompletten Schmelzen – die Höhe des Meeresspiegels nicht beeinflussen. Da außerdem in den vergangenen Jahren kein Rückgang des Schelfeises beobachtet wurde, betrachten die Wissenschaftler das Kalben von C-19 als normalen Vorgang im Lebenszyklus des Ross-Schelfs. „Sollten solche Ereignisse in Zukunft jedoch gehäuft auftreten, dann müssen wir als Ursache auch den Klimawandel in Betracht ziehen“, so Vaughan. „Aber im Moment ist das noch keineswegs ausgemacht.“

Durchdringender Radarblick

Möglich gemacht hat die genaue Beobachtung dieses Schauspiels das ASAR-Radarsystem an Bord von Envisat. Das System ist optischen Sensoren weit überlegen: Bei dichter Bewölkung und selbst bei Dunkelheit liefert es hochauflösende und extrem präzise Bilder der Erdoberfläche. Das zahlt sich aus, besonders für die Beobachtung der Polargebiete, wo die Tage im Winter kaum zwei Stunden lang sind, die Nächte dagegen „endlos“.
Mit ASAR kreist das erste satellitengestützte Radar um die Erde, das unter anderem Signale mit unterschiedlicher Polarisierung abstrahlen und empfangen kann, was die Präzision bei der Geländekartierung noch einmal immens verbessert. Und außerdem hat der europäische Umweltsatellit ein Elefantengedächtnis: Er kann Bilder des ASAR-Sensors für den späteren Download direkt an Bord speichern.

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