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Kollidierende Neutronensterne
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Integral trägt zur Aufzeichnung von Neutronensternenkollision bei

18/10/2017 1204 views 9 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Der ESA-Satellit Integral hat kürzlich eine entscheidende Rolle bei einer bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckung gespielt – die Aufschluss über die Verbindung von Gammastrahlen und Gravitationswellen gibt.

Am 17. August hat eine Gammastrahlenexplosion das Weltall fast zwei Sekunden lang erleuchtet. Das Ereignis wurde prompt vom ESA-Satelliten Integral sowie vom NASA-Satelliten Fermi aufgenommen.

Solche kurzlebigen Gammastrahlenexplosionen sind nicht ungewöhnlich. Integral zeichnet jedes Jahr etwa 20 von ihnen auf. Und doch war diese ganz besonders: Denn Sekunden, bevor die Satelliten die Explosion registrierten, schlugen andere Instrumente auf der Erde aus.

Einer der zwei Detektoren des LIGO (Laser Interforemeter Gravitational-Wave Observatory) in den USA hat Gravitationswellen aufgezeichnet – also Schwankungen der Struktur der Raumzeit, die durch massive komische Ereignisse ausgelöst werden.

Das Gammastrahlen-Observatorium Integral
Das Gammastrahlen-Observatorium Integral

„Diese Entdeckung ist bahnbrechend. Zum ersten Mal wurde gezeigt, dass Gravitationswellen und hochenergetisches Licht von derselben Quelle im Weltraum ausgelöst wurden“, sagt Erik Kuulkers, Integral-Projektwissenschaftler bei der ESA.

Vor dieser Erkenntnis waren Gravitationswellen in vier Fällen nachgewiesen und stets auf das spiralförmige Verschmelzen zweier Schwarzer Löcher zurückgeführt worden.

Die beiden LIGO-Detektoren hatten die ersten zwei Gravitationswellen im September 2015 aufgezeichnet. Zwei weitere folgten Ende 2015 und Anfang 2017.

Am 14. August schlugen aber nicht nur die LIGO-Detektoren, sondern auch der europäische Gravitationswellendetektor Virgo in Italien aus.

Für den Nachweis von Gravitationswellen haben die LIGO-Gründer Anfang Oktober den Nobelpreis für Physik erhalten.

Bislang stand fest: Wenn Schwarze Löcher kollidieren, kann man das anhand von Gravitationswellen sehen. Nach den ersten vier Messungen haben sich Wissenschaftler auf der ganzen Welt zudem mithilfe von Boden- und Weltraumteleskopen auf die Suche nach etwaigen Lichtphänomenen, die mit den Gravitationswellen zusammenhängen, gemacht.

„Auch wir haben uns anfangs mit Integral an dieser Suche beteiligt“, sagt Volodymyr Savchenko vom Integral-Wissenschaftsdatenzentrum in Genf in der Schweiz. „Wir suchten nach Gamma- oder Röntgenstrahlenemissionen, haben aber keine entdeckt – in Übereinstimmung mit den meisten gängigen Theorien.“

Aber diese Theorien müssen nun neu überdacht werden: Bei anderen Zusammenstößen im Weltall hält man es durchaus für möglich, dass nicht nur Gravitationswellen, sondern auch Licht über den gesamten Bereich des elektromagnetischen Spektrums hinweg freigesetzt wird – zum Beispiel wenn an der Kollision mindestens ein Neutronenstern beteiligt ist. Ebenso wie Schwarze Löcher sind diese kompakten Überbleibsel von ehemals massiven Sternen.

 

Ebenso ist man lange davon ausgegangen, dass die Fusion von Neutronensternen die Quelle von kurzen Gammastrahlenexplosionen sind – obwohl die Beobachtung, die genau das beweisen würde, bis dato ausgeblieben war. Im August wurde diese Beobachtung endlich getätigt.

„Als wir sahen, dass die Fermi- und LIGO-Detektoren fast zeitgleich ausgeschlagen sind und dazu noch unser SPI-Instrument diese Daten bestätigt hatte, war uns klar: Hier wird gerade Geschichte geschrieben“, sagt Carlo Ferrigno vom Integral-Wissenschaftsdatenzentrum.

„So etwas war noch nie geschehen. Ganz offensichtlich waren Neutronensterne miteinander verschmolzen“, fügt Savchenko hinzu.

Aufzeichnung eines Gammastrahlenausbruch und von Gravitationswellen
Aufzeichnung eines Gammastrahlenausbruch und von Gravitationswellen

Eine Benachrichtigung von nur einem der drei Gravitationswellendektoren versetzt die Wissenschaftler normalerweise nicht in sofortige Aufregung. Aber die gleichzeitige Entdeckung einer Gammastrahlenexplosion machte die LIGO-/Virgo-Wissenschaftler so neugierig, dass sie die Messungen sofort überprüften.

Kurz darauf wurde klar, dass beide LIGO-Detektoren die Gravitationswellen aufgezeichnet hatten. Der Virgo-Detektor war ebenfalls ausgeschlagen, wenn auch nicht so stark, was seiner niedrigeren Empfindlichkeit und der abweichenden Ausrichtung geschuldet ist. Die Kombination aller drei Messungen war dann aber entscheidend für die Ortung der Quelle.

Die Daten wiesen auf einen 28 Quadratgrad abdeckenden Himmelsfleck hin. Die Seitenlängen dieses Vierecks waren etwa zehn Mal so lang wie der Vollmond im Durchmesser misst. Dem Gravitationswellensignal zufolge lag die Quelle lediglich 130 Millionen Lichtjahre entfernt.

Sobald klar war, wohin man blicken musste, nahmen zahlreiche Boden- und Weltraumteleskope diesen Bereich ins Visier.

Die Galaxie NGC 4993
Die Galaxie NGC 4993

Gut eineinhalb Tage nach den Nachweisen entdeckten Wissenschaftler in gleich mehreren Observatorien, zum Beispiel an den Teleskopen der Europäischen Südsternwarte in Chile, etwas nahe am Zentrum der Galaxie NGC 4993. In genau der Entfernung, die mit den Daten von LIGO und Virgo berechnet wurde, sahen sie Licht – und zwar genau in der Art, wie man es bei der Fusion von Neutronensternen erwarten würde.

„Von den Gammastrahlenexplosionen, für die wir die Entfernung gemessen haben, war diese der Erde am nächsten. Außerdem war diese Explosion die bislang dunkelste, etwa 1 Million Mal weniger hell als der Durchschnitt“, sagt Savchenko.

„Wir denken, dass diese ungewöhnlichen Eigenschaften darauf hindeuten, dass die unfassbar starken Jets, die bei dem Zusammenprall von Neutronensternen im Weltraum entstehen, nicht direkt in unsere Richtung zeigen. Das ist übrigens bei den meisten entdeckten Gammastrahlenexplosionen der Fall.“

Nachdem die Quelle lokalisiert war, beobachteten zahlreiche Observatorien und andere Sensoren diesen Ort tage- und manchmal wochenlang, auf der Suche nach von der Kollision freigesetztem Licht und Partikeln. Und noch immer haben zahlreiche Stationen den Fundort fest im Blick.

Nach der ersten Entdeckung der Explosion, beobachtete Integral die Fundstelle weitere fünfeinhalb Tage. Weitere Gammastrahlen wurden nicht entdeckt, was eine wichtige Tatsache für das Verständnis der Neutronensternfusion ist.

Die umfangreiche Beobachtung, die darauf folgte, zeigte Signale über das gesamte Spektrum hinweg auf: zunächst im ultravioletten, sichtbaren und Infrarot-Strahlenbereich, dann Röntgen- und schließlich Radiostrahlungen.

„Wir sind eindeutig Zeugen einer Kilonova geworden“, erklärt Ferrigno. „Das neutronenreiche Material, das während des Verschmelzungsprozesses freigesetzt wird, hat Auswirkungen auf die Umgebung und formt eine ganze Reihe schwerer Elemente.“

„Diese faszinierende Entdeckung war nur dank der vorbildlichen weltweiten Zusammenarbeit Tausender Mitarbeiter von verschiedenen Observatorien und Projekten möglich“, so Kuulkers weiter.

„Wir sind mehr als begeistert, dass Integral einen entscheidenden Beitrag dazu liefern konnte, die Eigenschaften solch seltener Phänomene zu bestätigen. Daran haben Wissenschaftler seit Jahrzehnten gearbeitet.“

Integral eignet sich hervorragend zum Beobachten von Gammastrahlenexplosionen und gehört zu den besten astronomischen Einrichtungen für diesen Zweck – da der Satellit hochempfindlich auf Gammastrahlen reagiert und fast den gesamten Himmel auf der Suche nach großen Ereignissen absucht.

Zum erneuten Start der LIGO-/Virgo-Sensoren Ende 2018 – dann mit verbesserter Sensitivität – sollten möglichst viele Gammastrahlensatelliten in ihren Umlaufbahnen aktiv sein, damit diese die entdeckten Gammastrahlen überprüfen können.

LISA
LISA

Gleichzeitig entwickelt die ESA die nächste Generation von Gravitationswellenexperimenenten: den interferometrischen Gravitationswellendetektor LISA (Laser Interforemeter Space Antenna).

LISA soll 2034 ins All gebracht werden und dann Gravitationswellen mit niedrigeren Frequenzen registrieren, als dies mit Messinstrumenten am Boden möglich ist. Solche Gravitationswellen werden durch den Zusammenstoß noch exotischerer Weltraumobjekte hervorgerufen, nämlich von supermassiven Schwarzen Löchern, wie sie im Zentrum von Galaxien vorkommen. Diese vereinen Millionen bis Milliarden Mal so viel Masse wie die Schwarzen Löcher, die bislang von den LIGO- und Virgo-Detektoren aufgespürt wurden.

„LISA wird die Erforschung von Gravitationswellen entscheidend voranbringen – und so die Astronomie revolutionieren, ähnlich wie damals die ersten Beobachtungen von Infrarot- und Radiostrahlung“, sagt Paul McNamara.

„Bis dann freuen wir uns, dass die leistungsstarken ESA-Satelliten kontinuierlich zum immer wichtiger werdenden Bereich der Gravitationswellenastronomie beitragen.“

Anmerkungen für Journalisten:

Die Journal-Artikel “Integral detection of the first prompt gamma-ray signal coincident with the gravitational wave event GW170817” von V. Savchenko et al. sowie “Gamma rays and gravitational waves from a binary neutron star merger: GW170817 and GRB170817A” und “Multi-messenger observations of a binary neutron star merger” von B.P. Abbott et al. sind in den Astrophysical Journal Letters veröffentlicht worden. 

Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:

 

Erik Kuulkers
ESA Integral Project Scientist
European Space Agency
Tel: +31 71 565 8470
Email: Erik.Kuulkers@esa.int

Volodymyr Savchenko
Integral Science Data Centre
University of Geneva, Switzerland
Email: Volodymyr.Savchenko@unige.ch

Carlo Ferrigno
Integral Science Data Centre
University of Geneva, Switzerland
Tel: +41 7979 67782
Email: Carlo.Ferrigno@unige.ch

Paul McNamara
LISA Study Scientist
European Space Agency
Tel: +31 71 565 8239
Email: paul.mcnamara@esa.int

Markus Bauer
ESA Science Communication Officer
Tel: +31 71 565 6799
Mob: +31 61 594 3 954
Email: markus.bauer@esa.int

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