ESA title
Energie aus dem Piezokristall für Insulin-Pumpe am Handgelenk
Agency

Leichteres Leben für Diabetiker

18/12/2007 2770 views 3 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Die deutsche Design-Studentin Nicole Schmiedel hat eine trendige Armbanduhr mit integrierter Insulin-Pumpe entworfen. Sie soll Menschen, die Diabetes Typ 1 haben, künftig das Leben erleichtern. Die innovative ultraleichte Pumpe bezieht ihre Betriebsenergie aus in der Uhr integrierten piezoelektrischen Wandlern, die ursprünglich für europäische Raumfahrtprojekte entwickelt wurden.

Ein Prototyp des kleinen Technikwunders mit dem Projektnamen COR war auf der Internationalen Fachmesse für Werkstoffanwendungen, Oberflächen und Product Engineering „MATERIALICA“ in München zu bewundern. Dort konnten Experten aus der Industrie die innovative Medizintechniklösung auf der im Rahmen der MATERIALICA stattfindenden European Space Technology Transfer Conference in Augenschein nehmen. „Geadelt“ wurde die von Nicole Schmiedel in ihrem Vordiplom entworfene Armbanduhr mit einem der drei Preise des auf der Messe vergebenen Design and Technology Student Award.

Die Designerin Nicole Schmiedel
Die Designerin Nicole Schmiedel

„Mir kam die Idee für die Armbanduhr mit Insulin-Pumpe, als ich einen Film über ein kleines acht Jahre altes Mädchen sah, das Diabetes hat und sich täglich mit einer Insulinpumpe ihre Dosis Insulin zuführen muss. Ich konnte auch sehen, wie sie diese Tortur belastete.“ erinnerte sich Nicole Schmiedel, die an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig Industriedesign studiert. Sie wählte auch den Namen für das Projekt: COR, ein Kunstwort, das sich aus „Computer“ und „Corpus“ ableitet.

COR: Innovative Medizintechnik

COR: Die Armbanduhr mit Insulin-Pumpe und separater Stechhilfe mit Teststreifen
COR: Die Armbanduhr mit Insulin-Pumpe und separater Stechhilfe mit Teststreifen

Viele Diabetiker, die sich mehrmals täglich Insulin zur Regelung ihres Blutzuckerspiegels zuführen müssen, benutzen dazu unhandliche Spritzen oder andere unförmige Geräte. Dadurch wird allerdings ihre Mobilität eingeschränkt. Neuere Technologien wie Insulin-Pumpen sind noch nicht weit verbreitet. Und hier setzte Nicole Schmiedel an. Sie wollte ein System entwerfen, das die Lebensqualität von Diabetikern erheblich verbessert und ihnen ein normales Leben zu führen erlaubt.

Die von ihr gestaltete High Tech-Uhr ist äußerlich kaum von einer anderen modernen Armbanduhr zu unterscheiden. Sie enthält aber neben der winzigen Pumpe auch einen Vorrat Insulin, der für zwei bis drei Wochen reicht. Das Insulin gelangt zum Träger der Uhr über einen Schlauch und eine kleine Nadel, die unter die Haut gestochen wird. So wird der kontinuierliche Zufluss des Insulins ermöglicht und die alten Spritzen kann man ersetzen. Das System hat aber noch mehr zu bieten. Integriert ist nämlich auch ein Blutzuckermessgerät. Und: „COR sieht wie eine Uhr aus und nicht wie ein medizinisches Gerät. Wenn die Pumpe nicht in Betrieb ist, wird automatisch in den Uhrenmodus umgeschaltet. Außerdem ist auch noch ein Wecker enthalten.“ ergänzt Nicole Schmiedel.

Piezoelektrischer Wandler für Weltraumtechnik liefert Energie

Piezo-Wandler arbeiten auch auf der Kometensonde Rosetta
Piezo-Wandler arbeiten auch auf der Kometensonde Rosetta

Ein Problem beim Entwurf war der Energiebedarf der Pumpe, der mit herkömmlichen Uhrenakkus nicht über längere Zeiträume zu decken ist. Hier konnte ein innovatives Produkt aus der Raumfahrt helfen. Im Uhrenarmband eingebaute piezoelektrische Wandler setzen die mechanische Bewegungsenergie in elektrische Energie um.

Das physikalische Phänomen der Piezokristalle ist schon seit langem bekannt. Wenn an einen Quarzkristall eine elektrische Spannung angelegt wird, zieht sich der Kristall zusammen oder dehnt sich aus, er verändert also seine Form. Dieses Wirkprinzip wird heute beispielsweise in Mikroantrieben angewendet, wo mechanische Teile im Mikrometerbereich bewegt werden müssen.

Solche Mikroantriebe kommen auch bei der Kometensonde Rosetta zum Einsatz, wo sie das MIDAS-Instrument sehr genau positionieren und Vibrationen dämpfen.

Das Wirkprinzip lässt sich aber auch umkehren. Wenn ein Piezokristall durch die Einwirkung äußerer Kräfte mechanisch verformt wird, erzeugt er proportional zur mechanischen Deformation eine elektrische Spannung. So können auf diese Weise Kräfte und Deformationen gemessen werden. Oder die gewonnene elektrische Energie lässt sich zur Energieversorgung kleiner Geräte wie der Insulin-Pumpe einsetzen.

Obwohl piezoelektrische Wandler schon seit langem in der Messtechnik und Elektronik Verwendung finden, gelangten sie in den Weltraum erst in den neunziger Jahren. Die für den außerirdischen Einsatz erdachten Lösungen hoher Zuverlässigkeit und handlicher Bauform befruchten nun wieder die Alltagstechnik der Erdlinge.

100 Milliwatt genügen

Biegsame piezoelektrische Wandler liefern bei COR die elektrische Energie
Biegsame piezoelektrische Wandler liefern bei COR die elektrische Energie

Die Braunschweiger Design-Studentin hat sich für piezoelektrische Wandler des deutschen Unternehmens INVENT GmbH entschieden, die ihre „DuraAct“-Serie seit zwei Jahren produziert. Diese Wandler besitzen einzigartige Eigenschaften, die für ihre Verwendung bei COR sprachen.

„Wir begannen mit unseren Entwicklungen auf diesem für uns neuen Gebiet vor gar nicht langer Zeit. Ausgangspunkt war ein Auftrag der ESA zur Entwicklung adaptiver Strukturen für Raumfahrtanwendungen. Dabei stellte sich heraus, dass die herkömmlichen Piezowandler zu spröde sind. Es gelang uns dann, durch ein spezielles Verfahren flexible Piezowandler herzustellen. Daraus ist unsere DuraAct-Wandlerserie entstanden, die inzwischen von einigen Unternehmen für verschiedenste Anwendungen genutzt wird. Zum Beispiel verwendet eine Automobil-Firma die Wandler zur Geräuschdämpfung in Fahrzeugen, “ erläutert Stefan Linke von der INVENT GmbH die DuraAct-Entwicklung.

Die Insulin-Pumpe in COR benötigt eine elektrische Leistung von 50 – 100 Milliwatt, die von einem DuraAct-Wandler allein erzeugt werden kann. In der Uhr mit Insulin-Pumpe werden aber vier bis fünf solcher Wandler in das Armband integriert. So ist eine effizientere Energieerzeugung gewährleistet, egal in welche Richtung der Arm des Trägers sich bewegt. Außerdem wird die Zuverlässigkeit erhöht, denn die Pumpe kann auch dann noch arbeiten, wenn ein Wandler ausfällt.
In der Armbanduhr erfolgt die Speicherung der Energie in Akkumulatoren, bis sie benötigt wird. Das sichert einen stabilen Betrieb, auch in Perioden niedriger Energieerzeugung, beispielsweise wenn der Anwender schläft.

„Ich konnte COR nur deshalb entwerfen, weil die Technologie für diesen speziellen piezoelektrischen Wandler für Weltraumprogramme bereits entwickelt und sofort genutzt werden konnte, “ freut sich Nicole Schmiedel. „Im nächsten Schritt müssen wir nun einen Hersteller finden, der COR produziert und vermarktet.“

Das ESA-Büro für das Technologietransferprogramm (TTPO)

Hauptaufgabe des TTPO der ESA ist die Förderung des Einsatzes von Weltraumtechnologien und Weltraumsystemen auf der Erde in nichtweltraumspezifischen Anwendungen. Außerdem soll das Büro den Nutzen des Europäischen Weltraumprogrammes den Bürgern Europas nahe bringen. Das TTPO ist zugleich für die Strategie des Transferprozesses in die Industrie verantwortlich. Das schließt auch die Förderung und Unterstützung von Start Up-Firmen ein. Auf seine Initiative wurde auch die European Space Technology Transfer Conference in München organisiert, auf der das erfolgreiche COR-Projekt einem breiteren Fachpublikum präsentiert wurde. Weitere Informationen zum Technologietransferprogramm der ESA sind erhältlich unter:

Technology Transfer Programme
European Space Agency - ESTEC
Keplerlaan 1, P.O. BOX 299, 2200 AG, Noordwijk
The Netherlands
Telefon: +31 (0) 71 565 3910
Fax: +31 (0) 71 565 6635
Email: ttp @ esa.int

Related Links