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Rosetta-Lander auf dem Kometen 46P/Wirtanen
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Weltraum-Werkstoffe für die Erde

04/09/2002 2321 views 2 likes
ESA / Space in Member States / Austria

Seit über 10 Jahren sorgt die ESA mit ihrem Technologietransfer-Programm (TTP) dafür, dass für die Raumfahrt entwickelte Lösungen den Weg in unser tägliches Leben finden. Neben Entwicklungen im Bereich Software, Elektronik und technische Anwendungen sind es besonders Werkstoffe, die sich für einen Transfer Richtung Erde anbieten. Kohlefaserkunststoffe in Industrierobotern, hochisolierende Polymerfolien in Computertomografen, hochmoderne Schutzanzüge für Taucher, Piloten und Feuerwehrmänner – all diese Produkte haben ihren Ursprung im All.

Metalle mit Langzeitgedächtnis

Unter Federführung der ESA fanden zwei große Veranstaltungen zum Technologietransfer-Programm in Großbritannien und Frankreich statt. Im Mittelpunkt standen dabei intelligente Werkstoffe, so genannte „Smart Materials“, und der Transfer von Know-how im Textilbereich.

Zu den intelligenten Materialien, auf die man im Rahmen des Europäischen Weltraumprogramms setzt, zählen die Formgedächtnis-Legierungen (FGL). FGL-Werkstoffe können gedehnt und verformt werden, behalten dabei aber ihre ursprüngliche Form gewissermaßen im Hinterkopf. Wird das Material später auf eine bestimmte Temperatur erhitzt, so erinnert es sich an seine Ausgangsform und nimmt diese wieder an. Derart programmierte Bauteile können im All eingesetzt werden, um beispielsweise die Solarpaneele eines Raumflugkörpers zu entfalten.

Eine neue FGL-Applikation wird 2003 mit der ESA-Mission Rosetta auf die Reise zum Kometen Wirtanen gehen. Die FGL-Komponente ist ein Bauteil des Rosetta-Instruments Ptolemy zur Untersuchung der Kometengase.

Schaltelement für Heliumtanks in kaltem Zustand
Schaltelement für Heliumtanks in kaltem Zustand

„Ein Heliumstrom soll die Gasproben vom Kometen Wirtanen durch die verschiedenen Teile des Ptolemy-Instruments blasen. Das Helium wird in zwei Tanks gelagert, die sofort nach Abfüllung hermetisch versiegelt werden, um den Heliumverlust auf dem langen Flug möglichst gering zu halten“, erläutert Martin Whalley vom britischen Rutherford Appleton Laboratory, das dieses Bauteil entwickelt hat. „Wird das Helium gebraucht, dann wird am Ende des betreffenden Tanks ein zerbrechlicher Stift gekappt. Das öffnet den Tank und das Helium strömt ins Messinstrument.“

Schaltelement für Heliumtanks nach Erwärmung
Schaltelement für Heliumtanks nach Erwärmung

Wenn Rosetta den Kometen Wirtanen im Jahr 2011 erreicht, hat die ESA-Sonde einen achtjährigen Trip durch das Sonnensystem hinter sich. Es war daher wichtig, ein simples, aber extrem zuverlässiges System zu entwickeln, das die Tanks exakt zum gewünschten Zeitpunkt öffnet. „Wir haben uns für ein Schaltelement auf FGL-Basis entschieden. Das FGL-Bauteil ist eine passive Komponente, die bei Erwärmung ihre Form ändert und dabei Kraft freisetzt. Außerdem ist sie klein und wiegt fast nichts. Für unser Problem also die ideale Lösung“, so Whalley.

Gesundheit durch Gedächtnislegierungen

Legierungen aus dem All unterstützen Knochenheilung
Legierungen aus dem All unterstützen Knochenheilung

Aber auch auf der Erde werden Formgedächtnis-Legierungen inzwischen in den verschiedensten Bereichen angewandt. Ein Einsatzgebiet ist die Medizin. So können beispielsweise FGL-Drähte die Heilung von Knochenbrüchen beschleunigen. Und auch in der Kieferorthopädie rückt man krummen Zähnen mit Formgedächtnis-Legierungen zu Leibe. Das Material wird zu Zahnspangen verarbeitet, die dann kontrollierten Druck auf bestimmte Zähne oder Zahngruppen ausüben. Die FGL-Spange hat den entscheidenden Vorteil, dass durch die ganz gezielte Krafteinwirkung Fehlstellungen der Zähne bis zu zweieinhalb Mal schneller behoben werden als bei der herkömmlichen Behandlung.

Minimal-invasive Gefäßchirurgie durch FGL
Minimal-invasive Gefäßchirurgie durch FGL

Eine weitere medizinische FGL-Anwendung ist ein dünner schlauchartiger Stent zur Arterienaufweitung. Die Gefäßstütze wird durch die Adern des Patienten geführt und wenn sie die beschädigte Aorta erreicht hat, auf ihre ursprüngliche Größe gebracht. In Großbritannien wurden bereits mehr als 600 Patienten mit diesem minimal-invasiven Verfahren behandelt. „Die Chirurgen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben uns gesagt, dass diese Technik die einzige Möglichkeit ist, Patienten mit diesem speziellen Problem zu behandeln“, so Tony Anson, dessen Firma Anson Medical UK die Anwendung entwickelt hat. Der Brite Anson hat seine Kompetenz in Sachen FGL Anfang der 90er Jahre bei der Arbeit an Weltraum-Anwendungen erworben. Seine Firma ist eines der Start-Ups, die durch das ESA-Technologietransferprogramm unterstützt wurden. Heute ist Anson Medical in Großbritannien ein wichtiger Player auf dem Markt für medizinische Anwendungen.

Textiltechnik aus dem All

In jedem Pkw sind rund 30 kg Textilien verarbeitet
In jedem Pkw sind rund 30 kg Textilien verarbeitet

Textilien begegnen uns nicht nur als T-Shirt und Sonntagsanzug, sondern vor allem als hochentwickelte technische Textilien, die unter anderem im Auto- und Flugzeugbau verwendet und zu Schutz-, Sport- und Freizeitbekleidung verarbeitet werden. Diese High-Tech-Gewebe, deren Marktanteil ständig wächst, haben viele Eigenschaften: Sie sind schwer entflammbar, hitzebeständig, schnittfest, wasserabweisend, antibakteriell, fungizid, elektrisch leitfähig usw.

Extrem feuerfest ist beispielsweise „Flamebreak“, ein Gewebe, das im Auftrag von Aerospatiale speziell für den Einsatz im Raketenbau entwickelt wurde. Zudem wirkt das Textilprodukt, das aufgrund seiner Gewebestruktur bis zu 90% der auftreffenden Infrarotstrahlung absorbiert, stark hitzedämmend. In der Ariane-Rakete und im Vulcain-Raketentriebwerk wird das Material wegen dieser Eigenschaften dazu verwendet, elektrischen Leitungen und Anlagen gegen die Hitze der Antriebsflamme abzuschirmen. Auf der Erde wird Flamebreak inzwischen in verschiedenen Bereichen eingesetzt. In der metallverarbeitenden und der Glasindustrie schützt es Arbeiter vor der extremen Hitze und Glutspritzern. Und in Fahrzeugen sowie in öffentlichen Gebäuden wird es aufgrund der restriktiven Brandschutzbestimmungen für die Polsterung sowie für die Bezüge von Sitzen verwendet.

Schnittfeste Planen schützen Fracht vor Diebstahl
Schnittfeste Planen schützen Fracht vor Diebstahl

Gestützt auf das Flamebreak-Knowhow konnte der Hersteller, die französische Firma Société Ariegeoise de Bonneterie (SAB), zudem ein neues, extrem schnittfestes Gewebe aus Stahlfäden entwickeln, das Dieben das Handwerk legen soll. Das Material wird von einigen Firmen zu Abdeckungen für Lastwagen und Container verarbeitet. Es verhindert, dass die Planen aufgeschlitzt werden und somit die Ladung verschwindet.

Gefragt sind innovative Anwendungs-Ideen

Die McLaren-Techniker arbeiten in Anzügen mit Weltraumkühlsystem
Die McLaren-Techniker arbeiten in Anzügen mit Weltraumkühlsystem

Ein Ziel des ESA-Technologietransfer-Programms ist es, größere Synergien im Textilbereich zu organisieren. „Zahlreiche Technologien aus der Raumfahrt konnten bereits erfolgreich auf terrestrische Anwendungen übertragen werden, aber es stehen noch viele andere Technologien bereit. Wir möchten diesen Prozess weiter voranbringen und Designer, Textilhersteller, Bekleidungsanbieter und Experten für Raumfahrttechnologie zusammenbringen, um neue Anwendungen für den Einsatz in der Textilindustrie zu erarbeiten“, so Pierre Brisson, der Leiter des ESA-Transferprogramms.

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