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Asteroid 2020 XL5 has been confirmed as the second known Earth Trojan asteroid
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Ein neu entdeckter Asteroid - der zweite seiner Art

01/02/2022 134 views 1 likes
ESA / Space in Member States / Switzerland - Deutsch

Sie haben vielleicht schon von den Trojanern gehört. Dabei handelt es sich um zwei riesige Asteroidenschwärme, die Jupiter auf seiner Umlaufbahn um die Sonne anführen und ihm folgen. Aber der König der Planeten ist nicht der einzige mit trojanischen Asteroiden. Die Physik hinter der Entstehung dieser einzigartigen Ansammlungen alter Gesteine ist bei allen Planeten gleich – auch bei der Erde sollte es diese geben.

Obwohl man schon seit vielen Jahren über die Existenz von Erdtrojanern spekuliert hatte, wurde die erste direkte Beobachtung eines solchen vor etwas mehr als einem Jahrzehnt bestätigt. Seitdem wurde kein zweiter Erdtrojaner mehr entdeckt – bis jetzt.

Toni Santana-Ros (TSR) von der Universität Alicante und dem Institut für Kosmoswissenschaften der Universität Barcelona und Laura Faggioli (LF) vom Koordinationszentrum für erdnahe Objekte (Near-Earth Object Coordination Centre; NEOCC) der ESA erörtern hier die Bedeutung und die Herausforderungen hinter der Entdeckung des zweiten Asteroiden vom Typ Erdtrojaner.

Santana-Ros ist der Hauptautor des am 1. Februar 2022 in Nature Communications veröffentlichten Artikels, in dem die Entdeckung des zweiten Erdtrojaners vorgestellt wird. Das NEOCC der ESA leistete wichtige Unterstützung bei dieser Forschung.

  • Was sind Trojaner-Asteroiden?

TSR: Die Trojaner sind Asteroiden, die in Regionen des Weltraums gefangen sind, wo die Anziehungskraft der Sonne und eines der Planeten ausgeglichen ist. Diese Regionen heißen Lagrange-Punkte.

Die Trojaner umkreisen die Sonne auf etwa derselben Bahn wie der Planet und bilden Gruppen in der Nähe der beiden stabilen Lagrange-Punkte: eine vor dem Planeten (L4) und eine dahinter (L5).

Lagrange-Punkte im Sonne-Erde System
Lagrange-Punkte im Sonne-Erde System
  • Wie viele trojanische Asteroiden gibt es?

TSR: Wir haben fast 10.000 Jupiter-Trojaner identifiziert und insgesamt einige Dutzend bei Venus, Mars, Uranus und Neptun. Aber der erste und bisher einzige Erdtrojaner wurde erst 2011 entdeckt: der 2010 TK7.

Diese zweite Entdeckung, 2020 XL5, bedeutet, dass wir nun insgesamt zwei entdeckt haben. Es gibt jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit noch viele weitere Erdtrojaner, die nur auf ihre Entdeckung warten.

  • Warum sind Erdtrojaner wichtig?

TSR: Asteroiden sind Zeitkapseln aus den frühesten Tagen unseres Sonnensystems und können uns viel über die Phase der Planetenbildung beibringen.

Erdtrojaner sind besonders interessant, da sie Überbleibsel der Erdentstehung sein könnten. Selbst wenn diese Asteroiden von weit her stammen, könnten sie aufgrund ihrer relativ stabilen Umlaufbahnen um die Lagrange-Punkte der Erde ideale Ziele für eine Raumfahrtmission sein.

  • Warum haben wir so wenige Erdtrojaner gesichtet?

LF: Geometrie! Die relative Position der Lagrange-Punkte und der Sonne am Himmel sind fix und nicht allzu weit von der Sonne entfernt. Das hat zur Folge, dass die unglaubliche Helligkeit unseres Sterns immer aus einer ähnlichen Richtung wie die der Trojaner kommt und unsere Möglichkeiten zur Entdeckung solch kleiner, dunkler Objekte stark einschränkt.

  • Wie haben Sie diesen dann gefunden?

TSR: Zum Glück gibt es kleine Zeitfenster kurz vor Sonnenaufgang und kurz nach Sonnenuntergang, in denen einer der Lagrange-Punkte über den Horizont ragt, während die Sonne noch darunter verborgen ist. Diese Zeitfenster sind kurz, lassen keine langen Beobachtungen zu und zwingen die Astronominnen und Astronomen dazu, ihre Teleskope in eine Richtung in der Nähe des Horizonts auszurichten, wo die Sichtbedingungen am schlechtesten sind.

2020 XL5 war ein bekanntes Objekt, das jedoch nicht gründlich untersucht worden war. Unser Team hat mit Teleskopen gearbeitet, mit denen der Asteroid unter diesen schwierigen Bedingungen beobachtet werden konnte. Nach der Auswertung der Daten konnten wir bestätigen, dass es sich in der Tat um den zweiten bekannten Erdtrojaner handelt!

Asteroid Lutetia, an dem die ESA-Mission Rosetta 2010 vorbeiflog
Asteroid Lutetia, an dem die ESA-Mission Rosetta 2010 vorbeiflog
  • War er schon immer da? Wird er auf ewig da sein?

TSR: 2020 XL5 ist ein „transienter“ trojanischer Asteroid und wird somit nicht für immer ein Erdtrojaner bleiben. Wir erwarten, dass er den Lagrange-Punkt der Erde in etwa 4000 Jahren verlassen wird und möglicherweise wie viele andere Asteroiden auf einer stark elliptischen Umlaufbahn um die Sonne kreisen wird.

Dieser relativ kurze Zeitraum der Stabilität gegenüber dem unglaublichen Alter des Sonnensystems bedeutet wahrscheinlich, dass seine Existenz nicht während der Entstehung der Erde begann, sondern er viele Jahre später von unserem stabilen Lagrange-Punkt abgefangen wurde, als er an uns vorbeizog.

 

  • Wie groß ist er? Könnte er eine Bedrohung für die Erde darstellen?

LF: Der neue Erdtrojaner 2020 XL5 ist ca. 1 km groß. Das ist zwar für einen Asteroiden nicht gerade wenig, aber er befindet sich am Lagrange-Punkt etwa so weit von der Erde entfernt wie die Sonne, und seine Umlaufbahn wird ihn für Tausende von Jahren so weit weg halten.

  • Was ist das NEOCC der ESA?

LF: Das Koordinationszentrum für erdnahe Objekte ist Teil der Abteilung für Planetenverteidigung der ESA. Wir nutzen unser Netzwerk von Teleskopen zum Aufspüren und Untersuchen von erdnahen Objekten (NEOs) und bieten einen zentralen Zugangspunkt zu einem ganzen Netzwerk von anderen Datenquellen zum Thema NEOs.

Wir nutzen diese Daten jeden Tag, um die Umlaufbahnen von NEOs zu untersuchen und die Gefahr dieser NEOs für die Erde einzuschätzen.

  • Wie hat die ESA diese Forschung unterstützt?

LF: Meine Kollegen Marco Micheli und Luca Conversi haben den Asteroiden 2020 XL5 mit Teleskopen des NEOCC-Netzwerks beobachtet, u. a. auch mit dem Teleskop der optischen Bodenstation der ESA auf Teneriffa.

Sie haben anhand ihrer Beobachtungen die Position des Asteroiden zu verschiedenen Zeiten bestimmt, und meine Kollegin Ramona Cennamo und ich haben dann mithilfe dieser Daten die Umlaufbahn des Asteroiden analysiert. Unsere Ergebnisse haben ergeben, dass es sich um einen instationären Erdtrojaner handelt.

Teide-Observatorium, das wandernde Auge der ESA
Teide-Observatorium, das wandernde Auge der ESA
  • Was kommt als Nächstes?

TSR: Diese Entdeckung spornt uns an, weiter nach neuen Erdtrojanern zu suchen. Die Suche nach einem Trojaner aus Material, das von der Entstehung der Erde übriggeblieben ist, wäre für die Aufklärung vieler Geheimnisse des frühen Sonnensystems unglaublich hilfreich.

Wir führen derzeit in Zusammenarbeit mit dem NEOCC regelmäßige Himmelsbeobachtungen durch. Wir beobachten vor allem Objekte, die eine Gefahr für die Erde darstellen könnten. Doch diese Routinebeobachtungen bergen manchmal auch große Überraschungen.

In den vergangenen Jahren haben wir beispielsweise begonnen, Erkenntnisse über eine neue Gruppe sehr interessanter Objekte zu gewinnen: Asteroiden, die die Sonne innerhalb der Erdumlaufbahn umkreisen, die so genannten „Inner-Earth Objects“ (IEOs). Diese Objekte stehen in Zukunft ganz oben auf unserer Liste, da sie trotz ihrer relativen Nähe zur Erde noch immer Neuland für uns darstellen.

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