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Reinhold Bertrand
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Der erste Kooperationsprofessor

26/09/2018 3813 views 14 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Die ESA und das Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt intensivieren ihre Zusammenarbeit mit Universitäten. Reinhold Bertrand, Leiter des „Research and Technology Management Office“, wird erster Kooperationsprofessor der ESA an der TU Darmstadt. Unter dem Namen ESALab@TU Darmstadt soll auch ein gemeinsames Forschungslabor eingerichtet werden.

Erster Vertrag dieser Art

Bisher war er Dr.-Ing und Dozent. Im August diesen Jahres ist die Berufung erfolgt und er darf sich offiziell Professor nennen. Mitte März diesen Jahres hat der Senat der Technischen Universität Darmstadt einstimmig die Kooperationsprofessur befürwortet. Es ist die erste dieser Art zwischen ESA und der TU. „Ein Pilotfall“, sagt Professor Reinhold Bertrand und ein bisschen ist ihm der Stolz darüber anzusehen. Einen Tag pro Woche wird der 54-Jährige bei den Maschinenbauern am Institut für Flugsysteme und Regelungstechnik auf dem TU Campus Lichtwiese forschen und lehren.

Die restliche Zeit verbringt er wie bisher mit seiner Arbeit als Leiter der Abteilung Forschung und Technologie Management der Europäischen Raumfahrtagentur. Bertrand ist seit 2004 bei der ESA und verantwortlich für die Koordination der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten am European Space Operations Centre (ESOC). Sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich Entwurf, Bau und Simulation komplexer Raumfahrtsysteme. Der gebürtige Ravensburger beschäftigt sich mit der Entwicklung von Kleinsatelliten, Raumstationen und robotischen Systemen für planetare Erkundung und interplanetare Forschung.

TU Darmstadt
TU Darmstadt

Vor drei Jahren schon schlossen ESA und TU Darmstadt ein Rahmenabkommen. Die Kooperation umfasste Vorlesungen zu Raumfahrtthemen, Promotionsarbeiten und gemeinsame Forschungsprojekte. Seit dem Wintersemester 2015 lehrte Bertrand bereits mehrmals im Semester das Fach Grundlagen der Raumfahrtsysteme. Übrigens eine offene Veranstaltung. „Es kamen nicht nur Maschinenbaustudierende, sondern auch Geisteswissenschaftler in meine Vorlesung und legten zum Schluss sogar eine Prüfung bei mir ab“, berichtet er. Die Begeisterung der jungen Leute findet er sehr spannend, das fasziniert ihm am Lehrberuf.

Außer ihm geben auch weitere ESA-Kolleginnen und Kollegen wie etwa Prof. Werner Enderle, Dr. Markus Landgraf oder Dr. Chiara Manfletti Vorlesungen an der TU – bisher jedoch nicht mit einer Kooperationsprofessur. Mit der Berufung zum Professor wird Reinhold Bertrand auch Doktorarbeiten betreuen können. Auf die Zusammenarbeit mit Universitäten legen das ESOC und die ESA seit langem Wert. Kooperationspartner in einem gemeinsamen Doktoranden-Programm sind unter anderem auch die TU Graz oder die Universitäten in Mainz und Würzburg.

Diplom in Frankreich

Der akademische Betrieb ist Reinhold Bertrand vertraut. Mehr als 20 Jahre lang hat er immer wieder an der Universität Stuttgart zum Thema Raumfahrt gelehrt und Vorlesungen und Workshops an der International Space University Strasbourg in Frankreich unterstützt. Der 54-Jährige studierte Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart und der „Ecole Nationale Supérieure de l’Aéronautique et de l’Espace“ (ENSAE, heute ISAE) in Toulouse. 1991 schrieb er seine Diplomarbeit - auf Französisch - in Frankreich.

„Es war ein integrierter Studiengang.Ein Doppel-Diplom wie heute gab es damals noch nicht“, sagt er. Die Sprache und das Land gefielen ihm. Er blieb und arbeitete zunächst im Bereich der Missionsanalyse für die französische Raumfahrtagentur CNES. Später kehrte er an die Universität Stuttgart als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Raumfahrtsysteme zurück und promovierte. Seine Promotionsstelle war bei Prof. Ernst Messerschmid angesiedelt, dem früheren Astronauten und späteren Leiter des Europäischen Astronautenzentrums EAC in Köln. 

Raumfahrt war immer sein Traum

Wollte er selbst auch Astronaut werden? „Nein, ein Wochenende im All wäre schön, aber länger nicht“, sagt Bertrand. „Die Raumfahrt war immer mein Traum, ab er ich baue lieber die Systeme, mit denen man dorthin kommt“, lacht er. Ingenieur zu sein, das reizt ihn. Spezielle Werkstoffe oder Betriebssysteme zu entwickeln, die den extremen Bedingungen im All und der Raumfahrt standhalten. Die frühe Entwurfsphase für einen Satelliten oder eine Raumstation sieht er als Herausforderung. „Man muss grobe Parameter, Zusammenhänge festlegen, die richtigen Entscheidungen treffen.“ Das bringt er auch seinen Studierenden an der TU bei.

Kooperation mit TU sehr fruchtbar

Moon village
Moon village

Die Zusammenarbeit mit den Kollegen am Fachbereich Maschinenbau und den Studierenden beschreibt der ESA-Wissenschaftler als „gegenseitige Stimulation“. So gebe es beispielsweise Ideen am TU-Fachbereich, Satellitenmodule mit dem 3-D-Drucker zu bauen. Ähnliche Ansätze verfolgt die ESA in ihren Ideen-Workshops für ein mögliches Moon Village, ein Dorf auf dem Mond. Eine Zusammenarbeit gibt es auch in der Informatik und autonomen Robotik, wo TU-Professor Oskar von Stryk sehr erfolgreich forscht und lehrt. Autonome Roboter oder Rover werden bei Explorations-Missionen der ESA, etwa zum Mars gebraucht. Die Kooperation ESA / TU dient beiden Seiten. „Die TU ist eine der besten Universitäten in Deutschland.

Wir erhalten Impulse für unsere Arbeit und die Universität schärft ihr Raumfahrtprofil“, so Bertrand. „Ein sehr kreatives Umfeld mit viel Entwicklungspotenzial.“ Auch TU-Präsident Hans Jürgen Prömel ist von der Zusammenarbeit angetan: „Reinhold Bertrand unterrichtet bereits seit 2015 zahlreiche Studierende der TU Darmstadt im Feld der Raumfahrtsysteme. Das Raumfahrtkolloquium „Space @ TU Darmstadt“, das er im letzten Wintersemester organisiert hat, hat unsere Studierenden und viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Darmstadt und Umgebung begeistert. Ich freue mich daher sehr, dass wir diese erfolgreiche Zusammenarbeit nun mit der neuen Kooperationsprofessur „Raumfahrtsysteme“ noch weiter ausbauen können."

Erstes gemeinsames Forschungslabor in Deutschland

Die Zusammenarbeit soll auch in anderen Bereichen noch ausgebaut werden – mit einem gemeinsamen Forschungslabor, dem „ESALab@TU Darmstadt“. Ein Labor, in dem es unter anderem um „Concurrent Engineering“ gehen wird, um die räumlich wie zeitlich konzentrierte Entwicklung technischer Systeme.

Diese Praxis im Ingenieurwesen hat mit den Möglichkeiten der Digitalisierung eine neue Bedeutung bekommen: Entwicklungs- und Produktionszeit eines neuen Produktes können weiter verkürzt werden, und die Effizienz über den gesamten Produktlebenszyklus wird durch die konsequente Verwendung digitaler Modelle deutlich besser. Bertrand spricht von einem „Gruppenprozess“, in den sich verschiedene Experten mit ihrer Expertise und ihren Computerwerkzeugen einbringen. Statt bisher traditionell nacheinander folgender Arbeitsabläufe geschehen alle Entwicklungsschritte zeitgleich. „Das geht über den interdisziplinären Ansatz hinaus“, sagt er.

Das Labor soll bis 2019 fertig werden. Der Standort, ob auf dem Gelände des ESOC oder auf dem Campus Lichtwiese, steht noch nicht fest. Die Investitionskosten teilen sich ESA und TU. In Frankreich unterhält die ESA ein gemeinsames Forschungslabor derzeit mit der École Centrale Paris. In Deutschland wird das Labor das erste sein. Bisher betreiben das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die TU Darmstadt ein gemeinsames Schülerlabor, in dem sich auch die ESA mit Beiträgen eingebracht hat. So wurde im „DLR_School_Lab TU Darmstadt“ etwa der Hauptkontrollraum 1:1 wie im ESOC nachgebildet.

„Die ESA intensiviert die Beziehungen entlang der ganzen Innovationskette von Grundlagenforschung bis zur Raumfahrtmission. In dieser Kette spielt die Zusammenarbeit mit Universitäten eine besondere Rolle. Im Fall der TU Darmstadt haben wir deshalb sowohl die persönliche Verbindung über Professor Bertrand wie auch über das neue Kooperationsintrument ESA_Lab@TU Darmstadt etabliert“, betont Johann-Dietrich Wörner, Generaldirektor der ESA.

Übungen zum Weltraumwetter

Im „ESALab@TU Darmstadt“ wollen sich Wissenschaftler der ESA und der TU in einem ersten Pilotprojekt gemeinsam dem Thema Weltraumwetter und Sonnenbeobachtung widmen, so Bertrand. In Darmstadt geht es dabei natürlich um die Betriebskonzepte und die Bodenanlagen für eine derartige Mission. Hierbei soll eine Signalübertragung per Laser statt per Funk zur Anwendung kommen. „So lassen sich mehr Daten übertragen und die Beobachtungen sind sehr viel konzentrierter und fokussierter“, berichtet er. Gerade für eine präzisere Vorhersage des Weltraumwetters wäre das wichtig. Gedacht ist aber auch an Projekte, die Studierende mit einbeziehen sollen. So hat sich an der TU ein studentischer Verein „TU Darmstadt Space Technology e.V. (TUDSat)“ gegründet. Ziel ist der Bau von ballistischen Versuchsraketen und von Nanosatelliten.

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