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Eine Metallprobe kann im EML-Labor schwebend geschmolzen und untersucht werden.
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ISS: Erfolgreiche Forschung für die Menschen

26/02/2016 4473 views 23 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Die Internationale Raumstation ISS ist ein gigantisches Technologieprojekt, das durch die gemeinsame Arbeit der USA, Russlands, Japans, Kanadas und nicht zuletzt der ESA realisiert wurde. Damit bieten sich exzellente Möglichkeiten für die Forschung unter Weltraumbedingungen. Neben Experimenten, die der Grundlagenforschung dienen, werden zunehmend Versuche durchgeführt, die auf der Erde unmittelbaren Nutzen bringen. In diesem Beitrag werden einige Beispiele, an denen deutsche Institutionen und Wissenschaftler beteiligt waren, näher vorgestellt.

Inzwischen wurden in der Raumstation weit über 1000 Experimente durchgeführt und die an Bord vorhandenen Einrichtungen erlauben ein breites Spektrum an Arbeiten. Das reicht von der  physikalischen und biologischen Forschung über die Astronomie, Astrobiologie und Astrophysik, Materialwissenschaften, Fernerkundung, Technologie- und Verfahrenserprobungen bis zu den Lebenswissenschaften mit Medizin, Biologie und Biotechnologie. Die meisten Experimente wurden bisher über staatliche Mittel von Raumfahrtagenturen oder Instituten finanziert. Während der "Blue Dot"-Mission  mit Alexander Gerst wurden zum ersten Mal zwei komplett von der Industrie gesponserte Experimente auf der ISS durchgeführt, „SpaceTex“ und „WiSe-Net“, die hier beschrieben werden.

Neue Materialien durch Weltraumforschung

Alexander Gerst nahm das EML in Betrieb
Alexander Gerst nahm das EML in Betrieb

Einen großen Umfang nehmen Versuche in der Materialforschung an Bord der ISS ein. Dafür haben die Astronauten verschiedene Labore zur Verfügung, beispielsweise das EML (Electromagnetic Levitator), ein Schmelzofen, in dem in einem Magnetfeld schwebende Kügelchen von Materialproben auf ihre Eigenschaften beim Schmelzen und Erstarren untersucht werden können. Es wurde im Auftrag der ESA und dem DLR von Airbus Defence and Space entwickelt und gebaut. Der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst nahm die Anlage voriges Jahr an Bord der ISS in Betrieb. Die mit EML gewonnenen Daten fließen auf der Erde unter anderem in numerische Modelle von Gießprozessen ein, die dadurch optimiert werden können. Dabei greifen die Forscher auf ihre über 25jährige Erfahrung mit „Tempus“-Anlagen gleichen Bauprinzips zurück, die bei Parabelflügen und in Höhenforschungsraketen eingesetzt werden. Die Untersuchungen von Materialien wie Titanaluminid in „Tempus“ führten in Deutschland schon zu Schaufeln für Flugzeugturbinen, die besonders hohen mechanischen und Temperaturbelastungen ausgesetzt sind, aber nur das halbe Gewicht von solchen aus den bisher eingesetzten Nickellegierungen haben.

Frank de Winne arbeitet am MSL
Frank de Winne arbeitet am MSL

Ein vielseitig einsetzbares Labor ist das MSL (Materials Science Laboratory). In ihm können mittels zweier unterschiedlicher Öfen für verschiedene Aufgaben die Bildung von Kristallstrukturen bei der Erstarrung verschiedener Materialien beobachtet oder Kristallzüchtungen vorgenommen werden. Die Proben befinden sich in Kartuschen, die in die Öfen eingeschoben werden. Nach der Durchführung der Experimente werden sie für weitere Untersuchungen wieder zur Erde gebracht. Die Erstarrungsvorgänge interessiert Firmen wie die Hydro Aluminium Deutschland GmbH, die beispielsweise komplex geformte Motorblöcke aus Aluminiumlegierungen gießt und mit den außerirdischen Erkenntnissen den Produktionsprozess verbessern konnte.  Diese Arbeiten flossen aber auch bei einer Tochtergesellschaft des Unternehmens in  neue und verbesserte Werkstoffe ein.

Wie verhält sich Erdöl in Lagerstätten?

Der kanadische Astronaut Robert Thirsk installiert SODI in der Glovebox
Der kanadische Astronaut Robert Thirsk installiert SODI in der Glovebox

Anderen physikalischen Erscheinungen gehen die Forscher mit dem ESA-Experiment DCMIX nach. Dabei werden Fluide (Flüssigkeiten, Gase), die aus mehr als zwei Bestandteilen zusammengesetzt sind, untersucht. Es geht um den Einfluss von Temperaturänderungen auf den Massentransport und die Entwicklung von Konzentrationsunterschieden im Fluid – die Wissenschaftler bezeichnen das als Diffusion. Wissenschaftlich belastbare Daten gibt es bisher nur für zweikomponentige Fluide. Die Messungen werden in der ESA-Apparatur Selectable Optical Diagnostics Instrument (SODI), die im europäischen Columbus-Modul der ISS untergebracht ist, durchgeführt. Durch die Untersuchung in der Mikrogravitation wird der Einfluss von Störfaktoren wie Auftriebskonvektion und Ablagerung (Sedimentation) ausgeschaltet.

Das DCMIX-Experiment vereint Wissenschaftler-Teams aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Japan, Kanada, Russland und Spanien. Die Ergebnisse des internationalen Teams sollen später dabei helfen, die Kompositionsvariationen in Erdöllagerstätten besser zu verstehen.

Was ist die richtige Kleidung für Astronauten?

Alexander Gerst testet beim körperlichen Training SpaceTex-Kleidung
Alexander Gerst testet beim körperlichen Training SpaceTex-Kleidung

Mit dem ständigen Aufenthalt von Astronauten im Weltraum kommt ihren Arbeitsbedingungen und damit auch ihrer Kleidung mehr Bedeutung zu. Denn im All sind das Abfließen und die Verdunstung des Schweißes wegen der fehlenden Konvektion der Luft am Körper der Raumfahrer gehemmt. Dadurch bleibt die Kühlwirkung auf der Haut aus und der Astronaut wird physiologisch stärker belastet Das soll künftig durch spezielle Kleidung geändert werden. Zur Entwicklung solch spezifischer Produkte haben sich mehrere Forschungspartner im Projekt „SpaceTex“ zusammengeschlossen. Neben den Hohenstein-Instituten für Forschung, Entwicklung und Prüfungen im textilen Sektor aus Bönnigheim beteiligten sich das Zentrum für Weltraummedizin der Charité Berlin, das DLR und die Schoeller Textil AG (Sevelen, Schweiz) an dem Projekt.

Dr. Behringer (Hohenstein Institute) bei SpaceTex-Tests auf der Erde
Dr. Behringer (Hohenstein Institute) bei SpaceTex-Tests auf der Erde

Die Forschungen konzentrieren sich zunächst auf den Test von speziellen Textilien im Vergleich zu herkömmlicher Baumwollkleidung, um Kennzahlen wie Atmungsaktivität, Feuchtetransport oder Wärmeisolation zu gewinnen. Die ersten Versuche, die Alexander Gerst durchführte, bestätigten, dass die Forschergruppe mit ihren Spezialgeweben auf dem richtigen Weg ist. Obwohl die Forschungsarbeiten unter Mikrogravitationsbedingungen weitergehen werden, fließen die ersten Daten bei der Schoeller Textil AG bereits jetzt in die Entwicklung von Funktionstextilien für irdische Anwendungen ein.

WiSe-Net: Ein Funknetz für Sensoren

Alexander Gerst wird in die Handhabung eines Sensors von WiSe-Net eingewiesen.
Alexander Gerst wird in die Handhabung eines Sensors von WiSe-Net eingewiesen.

Ein bemerkenswertes Industrie-Experiment von der Airbus Defence and Space stellt das Wireless Sensor Network WiSe-Net dar. Das Netzwerk verbindet verschiedene miniaturisierte und bewegliche Sensoren an Bord der ISS über Funk. Damit entfällt die lästige und aufwendige Verkabelung und der Standort der Sensoren kann schnell geändert werden. Bei dem Versuch, der über zehn Wochen lief, wurden vier Messeinheiten über Funk abgefragt, die Umgebungsdaten wie Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Luftdruck, Lichtstärke und Beschleunigungen erfasst haben. Bei einem WiSe-Net 2 sollen künftig auch Gassensoren zum Einsatz kommen, die die Astronauten vor gefährlichen Stoffen in der Luft warnen können, und das sogenannte Energie-Harvesting für die Sensoren erprobt werden. Dabei wird überflüssige Energie aus der Umgebung für die Versorgung der Sensoreinheiten mittels miniaturisierter Energiewandler genutzt und so Batterien überflüssig. Neben der Arbeit der Sensoren wurde auch das Funknetz auf seine Zuverlässigkeit und Robustheit gegenüber Störungen getestet, was auch für künftige irdische Anwendungen in gestörten Umgebungen, beispielsweise in der Industrie, von Bedeutung ist.

Die hier vorgestellten Experimente bilden nur einen Teil der vielfältigen Arbeiten internationaler Forscherteams, darunter viele aus den ESA-Mitgliedsstaaten, ab. Sie zeigen aber das gewaltige Potential, das sich auch der Industrieforschung bietet und aus manchen Grundlagenuntersuchungen haben sich schon völlig neue Ansätze für marktfähige Produkte und Dienstleistungen ergeben.

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