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Cassini-Huygens über dem Saturn (künstlerische Darstellung)
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Gefangen vom Planeten der Ringe

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ESA / Space in Member States / Germany

Das kritischste Bahnmanöver nach sieben Jahren Flug: Mit einem gewaltigen Bremsmanöver schwenkt das Raumsondenduo Cassini/Huygens in eine Umlaufbahn um den zweitgrößten Planeten des Sonnensystems. Der Herr der Ringe hat jetzt einen künstlichen Mond.

Sein oder Nichtsein

1. Juli 2004: An diesem Tag stand William Shakespeares Hamlet auf dem Flugplan der NASA: TO BE OR NOT TO BE, Sein oder Nichtsein.
Damit Cassini/Huygens erfolgreich in eine Umlaufbahn um den Gasriesen einschwenken und so zum ersten künstlichen Mond des Saturnsystems werden kann, musste das mit einer Maximalgeschwindigkeit von 112 700 km/h (31,3 km/s) haarscharf am Saturn vorbeirasende Tandem in einem aufwendigen Verfahren abgebremst werden.
Für das Procedere verantwortlich zeichnete das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena (Kalifornien), das für die Steuerung der Cassini-Raumsonde zuständig ist. Sämtliche Schritte waren vorher exakt festgelegt und als Steuersequenz dem Computergehirn von Cassini überspielt worden. Eingriffe von der Erde sind während der kritischen Flugphase nicht möglich, da ein Funksignal allein für den Weg vom Saturn zur Erde 84 Minuten benötigt. Und für die Antwort von der Erde wären dann nochmals 84 Minuten notwendig. Beginn, Ende und Dosierung des Abbremsmanövers mussten daher beim ersten Anlauf gelingen. Es gab keine Möglichkeit der Wiederholung.

Mit anderen Worten: Interplanetare Missionen dieser Art lassen sich nicht in Echtzeit verfolgen. Niemand weiß, was in diesem Moment vor Ort tatsächlich abläuft. Jedes Signal, das wir gerade empfangen, kündet von einem längst vergangenen Ereignis. Auch wenn es nur 84 Minuten „alt“ ist. Zeitangaben beziehen sich deshalb auf die Uhrzeit der Signalankunft. In der Sprache der Raumfahrtagenturen heißt diese Zeit Earth Reception Time (ERT).

Bremsmanöver im Ringsystem des Saturns

Um die hochsensible Elektronik der Raumsonden vor möglichen kleinen Staubteilchen oder verirrten Ringpartikeln zu schützen, wurde das Späherduo so gedreht, dass die schüsselförmige vier Meter große Hauptantenne nunmehr in Flugrichtung zeigt und damit als Schutzschirm fungiert. In dieser Konfiguration passierte das Tandem – von Süden kommend – die Ringebene des Saturns und flog durch eine Lücke zwischen den beiden äußeren Saturnringen G und F hindurch auf die nördliche Seite.

Die verbleibende Zeit reichte dann gerade noch aus, mit Cassinis Steuerdüsen das Späherduo erneut um 180 Grad zu drehen, um das Bremsmanöver – die bislang kritischste Phase der Mission – einleiten zu können. Eines der jetzt in Flugrichtung zeigende Haupttriebwerke wurde um 4.36 Uhr MESZ gezündet (2.36 Uhr UTC). Das Reservetriebwerk wurde zwar nicht eingesetzt, es wäre aber sofort in Aktion getreten, hätte das erste Triebwerk versagt.
Ziel der Aktion war es, das Raumsondentandem soweit abzubremsen, das es von einer Hyperbelflugbahn innerhalb des Sonnensystems zu einer weiten, aber geschlossenen Ellipsen-Flugbahn um den Saturn übergeht.
Hätte das Bremsmanöver nicht geklappt, wäre Cassini/Huygens auf Nimmerwiedersehen in die Weiten des äußeren Sonnensystems katapultiert worden und damit im Nirwana des interplanetaren und später des intergalaktischen Raumes verschwunden.

Dank des gelungenen Bremsmanövers war das Späherduo jedoch nun vom Gasriesen gefangen. Insgesamt 95 Minuten feuerte das Triebwerk und bremste die Tandemsonde dabei um 626 m/s (2250 km/h) ab – keine gewaltige Änderung in Anbetracht der rasenden Geschwindigkeit während des Einschusses, aber doch ausreichend: Seit dem 1. Juli, 6.12 Uhr MESZ, besitzt Saturn einen Mond mehr.

Erste Nahaufnahmen faszinieren die Forscher

Detailaufnahme der Ringe im UV-Spektralbereich
Detailaufnahme der Ringe im UV-Spektralbereich

Bei ihrem Bremsmanöver kam Cassini der Wolkendecke des Saturns mit 19 000 Kilometer so nah wie noch keine Raumsonde vor ihr. 18 Minuten später drehte sich das Sondenpaar erneut um seine Achse, um die Hauptantenne planmäßig wieder zur Erde auszurichten und den Erdlingen den Erfolg des Manövers verkünden zu können.

Bevor die Sonde zum erneuten Ringebenen-Durchflug wieder in eine sichere Lage gedreht werden musste, nutzen die Kameras den einmaligen Blick auf die Saturnringe zur Gewinnung hochauflösender Nahaufnahmen aus bis zu 20 000 Kilometer Entfernung. Zugleich eine einmalige Chance, denn während der gesamten Mission wird Cassini nie wieder so nah an die Ringe herankommen. Alles passiert im rasenden Vorbeiflug, denn das Späherduo legt in einer Sekunde 30,7 Kilometer zurück (110 520 km/h). Wenig später klappt auch der zweite Durchflug durch die Ringebene problemlos.

Treffer verursachen keinen Schaden

Euphorie auf der Erde: Die Bahndaten zeigen, dass der Einschuss in die Saturnumlaufbahn derart präzise erfolgt ist, dass auf ein für den 3. Juli geplantes Bahnkorrekturmanöver verzichtet werden kann. Mehr noch: Das Raumsondenpaar hat die riskante zweimalige Passage des Ringsystems perfekt und ohne größere Treffer überstanden. Die mehreren Hunderttausend kleinen Aufschläge von Nanoteilchen – in einer Größe wie den Partikeln im Zigarettenrauch – wurden von der massiven Antennenschüssel sicher aufgefangen und verursachten keinen Schaden.

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