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Bild von der Oberfläche des Kometen aus 38,6m Entfernung.
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Tschuri: Ein eiskalter stinkender Brocken

22/09/2016 4885 views 5 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Das Landegerät Philae der ESA-Mission Rosetta hat geschafft, was nie zuvor versucht worden war: die Landung auf einem Kometen. Trotz der unvorhergesehenen Hüpfer und der Unmöglichkeit, die Sekundärbatterie aufzuladen, lieferten alle zehn Instrumente Daten. Für die überglücklichen Forscher ein Riesenerfolg.

Viele Experten überraschte die Beschaffenheit des Bodens auf der Oberfläche des Kometenkerns: Nicht ein flauschiger Schneeball flog da durch das All, sondern ein zumindest stellenweise harter Brocken, mit einem Volumen von 25 Kubikkilometern. An seiner Oberfläche ist er mit einer Zentimeter dicken Schicht aus lockerem Staub bedeckt.Tschuris Oberflächentemperatur schwankte zwischen minus 183 und 143 Grad Celsius. Allerdings konnten beachtliche Temperaturunterschiede von bis zu 20 Grad pro Minute und bis zu 80 Grad im Tag/Nacht-Rhythmus gemessen werden.

Tschuri ist schwarz wie die schwärzeste Kohle und stinkt zudem nach faulen Eiern und Pferdestall, wie Prof. Kathrin Altwegg, die das Instrument ROSINA an Bord des Orbiters leitet, salopp festgestellt hat. Der Grund für diesen gewöhnungsbedürftigen Geruch sind Schwefelwasserstoff, Blausäure, Methanol und beißendes Formaldehyd - Gase die vom Kometenkern wegströmen und die ROSINA nachgewiesen hat.

Philae konnte fast alle der vorgesehenen Experimente durchführen. Die Erkenntnisse, welche die Forscher aus der gesamten Mission – also Rosetta-Orbiter plus Philae-Lander – bisher gewannen, sind bahnbrechend. Die Daten haben bereits jetzt das Bild verändert, das sich die Wissenschaft von Kometen macht. Einige Theorien zur Entstehung der Schweifsterne und auch bezüglich der Entstehung des Sonnensystems mussten bereits revidiert werden.

Der Komet mit den vielen Gesichtern

 

Tschuris Landschaften sind wesentlich vielseitiger als vermutet: Derart bizarre, abwechslungsreiche Oberflächenformen hat niemand auf einem Kometen erwartet: Eine schroffe Bergwelt mit Blöcken, Klippen, Überhängen und Spalten wechselt mit glatten Ebenen. An anderen Stellen findet man Bodensenken, diedurch Ausgasen entstanden sind. Die Sonnenwärmeerreicht dort offenbar tiefere Bodenschichten und lässt vorhandenes Wassereis sublimieren, also direkt vom festen in den gasförmigen Zustand übergehen.

Der Komet weist unterschiedliche Schichtstrukturen auf der Oberfläche auf
Der Komet weist unterschiedliche Schichtstrukturen auf der Oberfläche auf

Es gibt aber auch viele unterirdische Hohlräume, die bis zu einige hundert Meter groß sind und immer wieder einstürzen. Oder noch bizarrer: Niemand hätte auf Tschuri Dünen vermutet – es gibt sie trotzdem! Sie bestehen aus feinem Material, das beim Ausgasen aus dem Innern herausgeschleudert und immer wieder an bestimmten Stellen abgelagert wird. Und das ohne Atmosphäre und ohne Wind.

Wasser: Wer lieferte unser Lebenselixier?

Zwei Drittel unseres blauen Planeten sind von Wasser bedeckt. Woher stammen diese ungeheuren Ressourcen? Planetenforscher gehen davon aus, dass die ganz junge Erde so heiß war, dass das Wasser verdampfte und in den Weltraum entwich. Folglich kann das Lebenselixier nur danach durch den Aufprall wasserhaltiger Himmelskörper zu uns gekommen sein. Einer populären Theorie zufolge soll ein beachtlicher Teil des irdischen Wassers von Kometen stammen.

Doch Wasser ist nicht gleich Wasser. In seinen Molekülen kann Deuterium (chemisches Symbol: D) – das ist Wasserstoff, der in seinem Atomkern auch ein Neutron besitzt und deshalb schwerer ist – den Platz des regulären Wasserstoffs (H) einnehmen. Zur Klärung der Herkunft des Wassers nutzen Wissenschaftler das Verhältnis D/H. Damit wird der Anteil des Deuteriums im Wasser beschrieben, es stellt eine Art Fingerabdruck dar. Irdisches Ozeanwasser hat einen D/H-Wert von lediglich 0,15 Promille. Rosetta hat mit dem Massenspektrometer ROSINA für Tschuri einen mehr als dreifach höheren D/H-Wert, nämlich 0,53 Promille ermittelt. Damit fallen Kometen, zumindest diejenigen vom Typ wie Tschuri, als Hauptlieferant für das irdische Wasser aus.

In den Fokus rücken nun Asteroiden mit D/H-Werten zwischen 0,12 und 0,32 Promille. Aber auch sie können die bestehenden Unterschiede nicht völlig erklären. Womöglich ist unser Wasser ein Mix, der von unterschiedlichen kosmischen Lieferanten angereichert wurde.

Entdeckt: Organische Moleküle auf Tschuri

 

Aufgabe der im Philae-Lander mitgeführten chemischen Schnüffelnase namens COSAC war die Suche nach organischen Molekülen auf dem Kometen. Die mehrfachen Hüpfer während der Landung waren ein Segen für COSAC, denn beim ersten Aufsetzen auf die Oberfläche wirbelte Philae 400 Liter Staub auf, von dem auch geringe Mengen in das Instrument gerieten. Damit stand frisches, orginäres Material von der Oberfläche eines Kometen zur Analyse zur Verfügung – ein Novum. Die Forscher fanden darin 16 organische Moleküle. Zu ihnen zählen beispielsweise Alkohole und Amine, manche waren bereits durch erdgebundene Beobachtungen in der Gashülle von Kometen entdeckt worden, aber auch „Neulinge“ wie etwa Aceton, Propanal und Methylisocyanat waren darunter.

Wassereis in der Imhotep-Region
Wassereis in der Imhotep-Region

Die Forscher registrierten einen wahren Baukasten für organische Verbindungen, von denen viele als Ausgangspunkt für wichtige biochemische Reaktionen dienen könnten - Schlüsselmoleküle, aus denen Zucker, Aminosäuren, Peptide und Nukleotide synthetisiert werden könnten. Mit dem Massenspektrometer COSIMA des Orbiters gelang im festen Kometenstaub der Nachweis von Makromolekülen organischer Substanzen. Die Untersuchungen bestätigen, dass es sich bei Kometen um das am wenigsten veränderte Material aus der Entstehungsphase unseres Sonnensystems handelt, das wir kennen. Es zeigt große Ähnlichkeiten mit dem organischen Material im ursprünglichsten Typus der Meteorite, den kohligen Chondriten; in den Kometen wurde es jedoch noch weniger chemisch verändert. Instrumente wie COSAC, ROSINA und COSIMA tragen Puzzlestücke zur Antwort auf eine der größten Fragen der Wissenschaft bei: Hat das irdische Leben tatsächlich einen außerirdischen Ursprung, wie manche Theoretiker vermuten?

Rätselhaft: Sauerstoff in der Gashülle

 

Eine große Überraschung ist die Existenz von molekularem Sauerstoff in der Atmosphäre von Tschuri. Nach Wasser (H2O), Kohlenmonoxid (CO) und Kohlendioxid (CO2) ist Sauerstoff (O2) mit einem Anteil von 3,8 Prozent sogar das vierthäufigste Gas in derAtmosphäre des Kometen.

In der Atmosphäre von Tschuri wurden Spuren von Sauerstoff entdeckt
In der Atmosphäre von Tschuri wurden Spuren von Sauerstoff entdeckt

Da Sauerstoffmoleküle chemisch sehr reaktionsfreudig sind, hätten sich diese längst mit dem in der Frühzeit des Sonnensystems reichlich vorhandenen Wasserstoff zu Wasser verbinden müssen. Aus diesem Grund hatten die Forscher Sauerstoffmoleküle bei Kometen ausgeschlossen. Dass dieser Sauerstoff aber Milliarden von Jahre überlebt hat, ohne mit anderen Substanzen zu reagieren, verwundert. Erstaunlich ist zudem, dass sich das Verhältnis von Wasser zu Sauerstoff weder mit dem Ort auf dem Kometen noch mit der Zeit ändert.

Die wahrscheinlichste Erklärung dieses Phänomens ist, dass der Sauerstoff uralt ist. Demnach entstand er schon vor der Bildung des Sonnensystems und wurde später im Kometenkern eingefroren. Rosettas unerwartetes Ergebnis vom Sauerstoff als einer urzeitlichen Substanz gibt den Forschern neue Hinweise auf die Bedingungen im frühen Sonnensystem, unter denen die Kometen entstanden sind.

Wie entstand Tschuris merkwürdige Form?

 

Es war ein Glücksfall für die Wissenschaftler, dass sie nicht auf einen einteiligen Kometen trafen. Es stellte sie aber auch vor ein Rätsel. Die Bordkamera konnte es nun jedoch lösen: Der mit einem kleinen Kopf- und großem Körperteil der Gestalt einer schnabellosen Quietsche-Ente ähnelnde Komet ist wahrscheinlich durch die Kollision zweier Kometenkerne entstanden. Darauf lassen die zwiebelartig aufgebauten geologischen Schichten von bis zu 650 Metern Mächtigkeit schließen, die sich in beiden Teilen deutlich voneinander unterscheiden. Am „Hals“ hören die Schichten auf. Diese Schichtstrukturen lassen erkennen, dass der ‚Zusammenprall’ sehr sanft war. Auch dies ist zugleich ein wichtiger Hinweis auf die physikalischen Bedingungen im frühen Sonnensystem.

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